Langeweile

 

 

Liebe Liesbeth,

 

Du schreibst mir, dass Dich Deine Freundin nervt, sie würde sich ständig langweilen, sagt sie und auf der anderen Seite will sie ständig irgendetwas unternehmen, ausgehen und ist immer auf der Suche nach Kontakten und Du sollst mit, hättest aber überhaupt keine Lust. Sie versteht Dich nicht, denn sie findet, dass Du Dich noch mehr langweilen müsstest, denn sie findet, dass Dein Leben doch noch langweiliger ist als das Ihre.
Du magst sie auch und willst Dich nicht ständig mit ihr streiten und sie auch nicht vor den Kopf stoßen, denn schließlich war sie schon dreimal in psychiatrischer Behandlung wegen Depressionen und hat Medikamente dafür geschluckt.

Liebe Liesbeth, ich versuche mir vorzustellen, was für Menschen sich mit sich allein langweilen. Wie man geschaffen sein muss dafür oder in welchem Zustand muss man sein, um das mit sich allein sein als Langeweile und öde zu empfinden.
Jeder braucht das allein sein und er braucht auch das mit Menschen zu sein. Das ist natürlich. Scheint ja bei Dir so zu sein, wie ich das aus Deinen Zeile lese.
Langeweile hat für mich im Grunde gar nichts damit zu tun, ob man allein ist oder nicht allein.
Wer sich alleine langweilt, langweilt sich dann auch zu zweit oder in der Gemeinschaft. Genauso kann man voller Freude allein sein und auch zu zweit.
Wenn das Gefühl der Langenweile empfunden wird, dann verbirgt sich doch dahinter meist die Sehnsucht nach etwas ganz anderem.
Das ist es, was aus meiner Sicht gilt, aufzuspüren. Medikamente werden da nicht helfen, denn es wird dann wahrscheinlich immer mehr zugemauert und die Wand dicker, die Wand zu sich selbst.
Letztendlich ist Langeweile ein Mangel an gelebter Kreativität. Ein kreativer Mensch langweilt sich nicht, der verweilt höchstens manchmal ziemlich lange und sogar auch für manch anderen Menschen an langweiligen Gegenständen oder Gedanken oder Situationen oder bei sich.
Ein nichtkreativer Mensch kann damit nichts anfangen und da gilt es anzusetzen. Ich schreibe hier zwar „nicht kreativer Mensch“, doch es gibt keine nicht kreativen Menschen, sondern es gibt die, sie den Zugang zu ihrer Kreativität haben und daraus Lebensfreude, Kraft, Energie, Staunen, Demut, Dankbarkeit, Ehrfurcht, Heilung und noch vieles mehr schöpfen und eben die, die den Zugang nicht haben.
Deshalb langweilen sich die Kreativen auch nicht in dem Sinn, dass Augenblicke der scheinbaren Langeweile in irgendeiner Form die Lebensqualität beeinflussen.  Es sind dann höchstens Momente, die sagen, etwas ist zu Ende und der neue Impuls noch nicht da, also so eine Art Hefeteigsituation. Doch selbst diese, verstehen sich kreative Menschen meist hinzugeben, ohne daraus flüchten zu wollen.
Natürlich gehören noch einige andere Aspekte dazu, dass eben auch der kreative Mensch sich mit aufkommenden negativen Gefühlen immer wieder schöpferisch und hingebungsvoll an sein Inneres wendet und sich damit auseinandersetzt. Tut er das nicht, dann kann es selbst da zu recht ungesunden Zuständen kommen. Der kreative Mensch hat es leichter, mit seinem Inneren in Kantakt zu sein, denn er kann meist in Hingabe versinken und daraus kann er aus seinem Inneren gleichzeitig viele Erkenntnisse schöpfen.
Doch der sich ewig langweilig fühlende Mensch und vielleicht dadurch aus der Situation flüchten wollende und ständig etwas planende, sich volle Terminkalender schaffende, ständig mit jemanden telefoniert, um Kontakt überhaupt zu spüren, denn es geht ja immer wieder letztendlich um Kontakt, hat es da bei weitem schwieriger.
Der gesunde Kreative lebt meist im Kontakt mit etwas oder mit jemanden und geht darin auf, wächst und gedeiht daran. Selbst wenn er auf einen Friedhof geht und liest auf einem Grabstein einen Namen, kann es sein, dass da schon Kontakt in ihm entsteht. Er ist einfach im Kontakt mit dem Lebendigen und tote Dinge gibt es für ihn nicht.
Ich schreibe bewusst, der „gesunde Kreative“. Es gibt auch psychisch Gestörte und die sind auch kreativ und langweilen sich nicht.
Doch diese haben einen Mangel an Wertgefühl, ihnen mangelt es an Selbstliebe und sie schaffen mehr Zerstörerisches als Aufbauendes. Ein Bombenbauer, der mit seiner Bombe dann einen Anschlag plant, ist ein negativ kreativ gepolter Mensch. Er ist jemand, der sich eben nicht um seine im Innern aufkommenden negativen Gefühle kümmern will, sondern diese lieber nach Außen auf seine Umwelt und Mitmenschen projiziert.
Doch wie gesagt, langweilen wird er sich auch nicht groß.

Der Unkreative kann natürlich auch scheinbar gesund sein und funktioniert einfach als sehr angepasstes Glied in der Gesellschaft, schafft sogar Werke, die sich sehen lassen können, ist sehr erfolgreich aufgrund seiner Verstandesintelligenz, seines umfangreichen Wissen, das er in sich hineingeschaufelt hat und auch das er ins gesellschaftliche Gefüge bestens passt. Doch er wird meist begleitet von einem stetigen Gefühl der Unzufriedenheit, Unruhe und eben auch Langenweile, weil das Geschaffene nicht aus seinem tiefen Inneren aufgestiegen ist und er bei sich keine seelische Entwicklung und Reifung spürt. Er fühlt sich nur alt und älter werdend und das macht ihm Angst und dem will er entfliehen und dadurch immer in irgendeiner Form tätig sein. Ruhe und Entspannung sind ihm kaum möglich zu genießen. Er empfindet es als Langeweile und vergeudete Zeit.
Wenn dann nichts mehr passiert, keine Reize von außen auf ihn einwirken, kann es eben zu Depressionen führen, die mit tiefer Lebensunlust und einer Sinnkrise verbunden sind.
Deshalb sage ich, dass erste, was ich Dir empfehlen würde, mal mit Deiner Freundin irgendwo Zeit zu zweit zu verbringen und versucht gemeinsam aufzuspüren, wovon sie träumt, was so tief in ihr sitzt, wozu sie mal große Lust hätte, doch es ihr unmöglich erscheint, weil sie eben dicke unbrauchbare Glaubenssätze da herum gemauert hat und ihre Umwelt das eben immer kräftig unterstützt hat.
Wir kennen ja fast alle einen Satz aus unserer Kindheit: „Du hast Flausen im Kopf. Das ist nicht die Realität.“ Irgendwann hört man dann auf, sich an seinem Inneren zu orientieren, weil das ja sowieso alles Blödsinn ist und orientiert sich nur noch im außen, weil ja die Gesellschaft alles vorgibt, wie es richtig zu sein hat, wie wir sein müssen.
Also der Schutt bei Deiner Freundin muss weg und sie muss wieder nach innen schauen. Dafür ist es gut, wenn Du ihr dabei hilfst, denn es könnte sein, sie hat inzwischen Angst davor, weil sie ja an der Stelle irgendwann große Verletzungen erlebt hat.
Es kann für euch beide eine interessante, spannende, lebensspendende und freudvolle Reise sein.
Sie wird ihre Talente entdecken.

Die Langeweile wird verschwinden, wenn sie erfährt, sie darf leben und ausdrücken, was sie fühlt und auch auf die Weise, die ihre Seele mag.

 

Herzlichst
Malina

 

 

 


 „Dadurch, daß wir die Vorstellungen von anderen als unsere eigenen übernehmen, verlieren wir die Verbindung mit der potentiellen Weisheit unserer eigenen inneren Funktionen und verlieren das Vertrauen in uns selbst.“ S.46

 

Barry Stevens/ Carl R.Rogers
aus “Von Mensch zu Mensch”
Peter Hammer Verlag

 

 

Des Menschen Verdüsterungen und Erleuchtungen machen sein Schicksal.“

 

Goethe

 

 

Um Kreativität zu lernen, braucht man keine Schule zu besuchen. Alles, was man braucht, ist, nach innen zu gehen und dem Ego zu helfen, dass es sich auflöst. … Und sobald das Ego nicht mehr da ist, ist alles wahr, ist alles schön.“ S.55

 

Osho

aus „Kreativität“
Heyne Verlag

 

 

Wenn du von Idioten respektiert werden willst, musst du dich nach ihren Gepflogenheiten, ihren Erwartungen richten. Wenn du von dieser kranken Menschheit respektiert werden willst, musst du noch kränker sein als sie, dann wird sie dich respektieren. Aber was gewinnst du daraus? Du verlierst nur deine Seele und wirst gar nichts gewinnen.S.133

 

Osho

aus „Kreativität“
Heyne Verlag

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

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