Es ist so wohltuend

 

Lieber Lubin,

 

hier möchte ich Dir etwas zusenden aus einem Gespräch mit Martha, die bei Dir gleich um die Ecke, wo das Hochhausviertel beginnt, wohnt. Neulich war jemand von der Zeitung „Wir sind alle eins“ bei ihr, und sie gab ihm ein Interview. Es ist dann zwar mehr ein Monolog statt eines Interviews geworden.
Doch so ist das, wenn man an seinen Vorhaben nicht festhält, einfach seinem Herzen freien Lauf lässt, ist das am Ende auch egal…….

 

Herzlichst Malina

 

 

 

Interview mit Martha


Das ist sehr wohltuend, dass auch mal eine von den untersten Schichten Gehör kriegt, dass die auch mal in Ruhe angehört wird, dass die auch mal eine individuelle Stimme bekommt, nicht dass wir immer nur pauschal verurteilt werden. Diese Gesellschaft lebt ja von pauschalen Urteilen und Vorurteilen. Da muss man nicht groß selber denken, sondern macht einfach immer nur eine der Schubladen auf, wo eine Meinung gespeichert ist. Da geht immer wieder dasselbe Bild rum.
„Wir Superarmen sind faul, sehen keinen Sinn im Leben, wir schmarotzen uns nur durch. Wir sind potentiell kriminell, haben kein Verantwortungsbewusstsein und sind intelligenzmäßig auch nicht auf der Höhe. Wir sind dumm, leistungsschwach und unfähig, unser Leben auf die Reihe zu bringen. Wir sind dumm und unfähig, soziale Beziehungen zu pflegen. Wir sind dumm und unfähig, mit Geld umzugehen.“ Tja, wir sind halt der Ballast der Gesellschaft, wenn auch nicht der einzige und am Ende wird noch behauptet, dass wir schuld sind, dass vieles so mies aussieht und andere darben müssen und sie sich vielleicht nicht den 3. Urlaub im Jahr leisten können, weil unsere Existenz auf ihre Lasten geht, aber diese Vorurteile stören mich überhaupt nicht. Ich bin zufrieden mit meinem Leben und ich bin dankbar, dass ich jetzt hier mal eine Stimme habe, um vielleicht mal einige dieser Vorurteile zu entkräften. Es gibt diese Vorurteile natürlich auch über die Reichen. Die gleichen Vorurteile nur mit anderen Vorzeichen. „Die Reichen sind verantwortungsbewusst, sehr klug. Die leisten was im Leben. Die sind lebensfähig. Die stehen ihren Mann. Die sind unabhängig und haben bewiesen, dass sie was können. Die haben Anerkennung und Achtung verdient.“
Nur, da frage ich mich, woher dieses massenhafte Fischsterben kommt und die Überschiffung und Verschmutzung der Ozeane, so dass das ökologische Gleichgewicht der Meere ernsthaft in Gefahr ist.  Die Reichen, die arbeiten 60 bis 70 Stunden pro Woche, wobei alles, was sie tun und wo sie sind als Arbeit zählt.
Dabei meine ich jetzt mit reich die wirklich Superreichen, die mit den Yachten inclusive.
Meine Nachbarin die arbeitet auch 60 Stunden und manchmal 70 die Woche über. Nur ihre 60 Stunden sind auf 2 Jobs aufgeteilt, einschließlich am Wochenende. Meine Nachbarin kann sich keine Putze leisten. Meine Nachbarin kann nicht jeden Tag für 2 Stunden ins Fitnessstudio gehen. Meine Nachbarin hat 24 Tage Urlaub im Jahr, aber sie hat kein Geld, irgendwo hinzureisen. Tja, meine Nachbarin ist im Handel tätig und am Wochenende muss sie noch in die Gastronomie. Meine Nachbarin, die arbeitet so viel und hat nicht mal einen gescheiten Arbeitsvertrag. Alles nur Teilzeitverträge und immer befristet, doch arbeiten muss sie wie Doppelvollzeit. Überstunden werden so gut wie gar nicht abgegolten. Wenn man was sagt, da kriegt man nur zur Antwort, dass man ja hier nicht arbeiten muss. Es gäbe genug andere. Ich sag immer: „Grete, warum tust du dir das an? Sehr viel mehr Geld als ich hast du doch auch nicht und brauchen tust du viel mehr. Allein die Monatskarte für die Bahn kostet einen Haufen Geld. Dann trinkst du mehr Kaffee als ich. Dann bist du gereizt und nervös und rauchst immer mehr. Dann kannst du nicht einschlafen, weil die extrem schwankenden Arbeitszeiten dich kaputt machen und kaufst dir deshalb die teuren Einschlafpillen.“ Ich habe ein ruhiges und zufriedenes Leben auch ohne bezahlte Arbeit. Dabei empfinde ich mich gar nicht nutzlos und arbeitslos. Ach ich sitze manchmal stundenlang in meiner 20igsten Etage auf meinem kleinen Balkon und beobachte die Wolken. Das ist sooowas Schönes! Da lasse ich meiner Phantasie freien Lauf und es sind schon schöne Geschichten entstanden für die sich kein Verlag oder Buchhandlung interessiert. Tja, ich habe halt keinen Namen, der die Leute magnetisch anzieht und mit mir will keiner was zu tun haben, so wie ich hier lebe und im neuesten Fummel und mit der neuesten Frisur trete ich eben auch nicht auf, wenn ich irgendwohin gehe. Ich kaufe meine Sachen meist im secondhand und schneide mir meine Haare selber. Gott sei Dank, dass ich inzwischen mein Vollgebiss habe, denn wenn ich noch ständig zum Zahnarzt müsste und da ein Krönchen und dort ein Implantat brauchte, sähe es wahrscheinlich düster aus.

Aber bei der Tafel, wo ich mir jede Woche meine Lebensmittel hole, da bin ich schon bekannt. Da muss ich meinen Ausweis nicht mehr vorlegen und werde auch nicht schräg angeschaut, wenn ich da hinkomme. Die kennen meinen Namen und lächeln freundlich, wenn ich komme. Die wissen auch, dass ich gerne mal ein Späßchen mache. Die freuen sich, wenn sie mich sehen. Wenn ich denen sage, ich habe den Vormittag in die Wolken geguckt, dann halten die mich für ein bisschen verrückt, aber meine Geschichten hören sie gerne. Ach, wir sind ne‘ nette Truppe bei der Tafel. So ist es ja nicht, dass ich nicht helfe, wenn ich sehe, hier werde ich gebraucht. Ich packe so manches Mal auch mit an, aber ich sage immer: Ich brauche meine Freiheit. Verbindliche Zusagen gibt es bei mir nicht oder gar einen Arbeitsvertrag. Ja, ich würde mich sogar als freiesten Menschen betiteln. Ich war noch nie in meinem Leben so in Frieden wie jetzt. Das mag grotesk klingen, doch ich erkläre es gerne. Ich habe diese ganze Erfolgsleiter hinter mir, eingeschlossen Burnout. Ich war selbständig auf dem Gesundheitsmarkt tätig bis meine Firma krachen ging für die ich gerackert und gerackert habe. Meine Firma ging krachen durch große Konzerne, die uns kleinere einen nach dem anderen weggeschluckt haben, die Produkte zu andere Preisen anboten, zu Dumpingpreisen. Von meiner Firma blieb nichts mehr übrig und meine Angestellten sind zu dem Großkonzern gegangen, der sie besser bezahlt hat.
Aber jetzt sitzt die Hälfte von denen auch wieder auf der Straße und meine Grete ist meine ehemalige Kollegin. Die sagt immer: „Bei dir bin ich wenigstens immer gut behandelt worden. Es war ein Fehler, zu gehen. Doch wir haben uns vom neuen Arbeitgeber alle blenden lassen und am Ende waren wir nur noch die Hälfte der Leute vom Anfang, doch die Arbeit hatte sich inzwischen verdoppelt. Wir konnten ja auch alle nicht mehr zurück, denn dich und viele andere gab es nicht mehr, wo es anständig zuging und man sich untereinander noch kannte und sich nicht nur mit Floskeln begegnet ist.“

Ach, aber das ist alles Geschichte. Grete tut mir leid, doch ich kann es nicht ändern. Früher war ich immer mit mir und der Welt unzufrieden. Ich fand mich nie gut genug, egal, was ich für einen Erfolg hatte in der Anfangszeit. Mein Motto wie bei allen war „ Höher! Besser! Weiter! Mehr!“ Doch das Zwitschern der Vögel, das habe ich höchsten noch im Urlaub gehört ab der zweiten Urlaubswoche. Den ersten Urlaub konnte ich mir sowieso erst nach dem 5. Geschäftsjahr leisten. Einschlafen konnte ich nur noch mit Schlaftabletten. Zigaretten und Kaffee waren mein Hauptnahrungsmittel. Da kann ich nur von Glück reden, dass Alkohol mich nie sonderlich interessiert hat. Doch jetzt brauche ich keine Zigaretten mehr. Ich rauche nicht mehr. Zwei Tassen Kaffee am Tag genügen mir. Ach, wie ich meinen Bobby liebe, mein Pudelchen. Jeden Tag sind wir 1 bis 2 Stunden auf Streife und dann sitze ich oft noch mit den Müttern am Kinderspielplatz und die Kinder kommen angelaufen, ob ich nicht wieder eine Wolkengeschichte hätte und einige nehmen mir die Leine weg und spielen mit Bobby mit dem Ball. Wenn ich dann komme, dann rufen sie „Oma Martha, Oma Martha! Jetzt kommt Oma Martha!“ Ich bin da wirklich wie eine Oma. Doch ich fühl mich wohl dabei. Es macht mir Spaß! Die Mütter schütten mir das Herz aus über ihre Probleme mit ihren Kindern oder Ehepartnern oder über die Arbeit wird auch viel gesprochen und dass das Geld nie reicht. Die sind dankbar, dass ich ihnen zuhöre, so manchen Tip gebe und Mut mache und sie bewundern meine Zufriedenheit, meinen Optimismus und meinen Frohsinn. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Ich bin dankbar für das was ich habe und dass ich gesundheitlich ganz gut drauf bin, trotz meiner 79 Jahre. Ich lese noch alles ohne Brille und manchmal nehme ich die ersten Etagen zu mir hoch die Treppe und steige erst dann in den Fahrstuhl . Ich bin dankbar, dass ich mich seit vielen, vielen Jahren wieder an den kleinen Dingen des Lebens erfreuen kann und mich nicht mehr angetrieben fühle, irgendetwas erreichen zu müssen, um irgendjemandem zu gefallen oder mich selbst gar als wertvoll zu fühlen. Ich bin wie ich bin und außer den Behörden mit ihren Klischees hat eigentlich keiner ein Problem mit mir. Aber die Behördenmitarbeiter, die mich persönlich kennen, die schätzen mich auch. Das ist immer nur diese anonyme Behördenpost, die so bedrohlich wirkt und als wäre ich eine Bedrohung für die Gesellschaft. Huuuu!   Aber auch das juckt mich nicht mehr weiter.
Das einzige, was mir in meinem Leben noch eine gewisse Sorge bereitet, das ist die Zukunft der Kinder. Wenn ich die da so unbedarft auf dem Spielplatz spielen sehe und die Freude in ihren Gesichtern sehe, dann frage ich mich, was soll werden? Wenn das so weiter geht mit dem oft verantwortungslosen Weltgeschehen, ob die Kinder, egal woher sie kommen, dann überhaupt noch eine lebenswerte Zukunft haben? Dann werde ich an meine eigene Kindheit erinnert, an Momente als ich als glückliches, unbedarftes Kind in Pommern auf dem Gut vom Großgrundbesitzer nebenan gespielt habe und wenige Jahre später endete diese vermeintlich glückliche Kindheit mit einer Flucht in den Westen. Das war wie ein Schock. Ich fühlte mich mit einem Schlag aus meinem Kindheitsparadies vertrieben.
Natürlich waren es auch schwere Zeiten, doch wir bekamen davon nicht wirklich was mit. Es ging herzlich bei uns zu und unsere Mutter hatte jeden Abend Zeit, uns eine schöne Gute Nacht Geschichte zu erzählen. Ich erinnere mich heute noch an ihre Stimme, die so wohltuend in meinen Ohren klang, an ihren liebevollen Blick, der sich so wohlig anfühlte und an das  Streicheln meiner Bäckchen. Dann ging sie, nachdem sie mir einen Gutenachtkuss gegeben hatte aus dem Zimmer und ich kuschelte in meinem Bettchen und schlief meist gleich ein. 

 

 

 

 

 

 




 

„Ohne Schuldgefühle bist du frisch wie ein Tautropfen in der frühen Morgensonne, frisch wie die Blätter einer Lotosblüte im See, frisch wie eine sternklare Nacht. Sobald die Schuld verschwunden ist, wirst du ein völlig anderes Leben leben, lichtvoll und strahlend. Deine Füße werden tanzen und dein Herz wird tausenderlei Lieder singen.“ S.28

 

 

OSHO

aus Schicksal,

Freiheit und die Seele

Goldmann Verlag

 

 

 


„Am Horizont ist schon ein schwacher Schein sichtbar, der den neuen Tag ankündigt, und bald steigt die Sonne als goldene große Kugel aus der Unendlichkeit empor, und läßt den Mond erbleichen.“ S.134

 

 

Mario Mantese

aus "Das Geheimnis vom weißen Stein."

 

 



 

"Lebt ein Kind in einer Umgebung, in der es sich fortwährend und in hoher Taktzahl auf wechselnde Reize einstellen muss, wird es Mühe haben, sich auf eine Sache oder einen Menschen zu konzentrieren." S.12

 

 

Joachim Bauer

„Warum ich fühle, was ich fühle“
Heyne Verlag

 





„Wähle den Weg, zu dem dein ganzes Wesen dich führt, wo du im Fluss bist und wo der Wind dich hinweht. Und dann geh diesen Weg soweit, wie er dich führt, aber erwarte nicht, irgendetwas zu finden. S.78

 

 

Osho

"Schicksal-Freiheit und die Seele"




 





„Lebe das Leben als organische Einheit. Keine Handlung soll halbherzig getan werden; gehe total in allem auf, was du tust.“ S.79


Osho

"Schicksal-Freiheit und die Seele"


 



"Der Meister sprach: Der edle Mensch sucht Höheres zu erreichen, der Niedriggesinnte sucht sein Ziel in niedrigen Dingen. S.101

 

 

Konfuzius

Gespräche des Meisters Kung

(Lun Yü)

 

dtv verlag



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