Vertrauen und Akzeptanz (fünfter Brief an Marie) 

 

 

Guten Tag, liebe Marie,

 

nein, Vertrauen hat nichts mit Glauben zu tun und schon gar nichts mit Leichtgläubigkeit, absolut nicht.

Das Vertrauen, das Du jemandem entgegenbringst, sagt etwas über Dich aus und wie der andere damit umgeht, sagt etwas über ihn aus. Doch es hat nichts mit wirklichem Vertrauen zu tun, sondern eher mit einer Komplizenschaft, denn dann sind Erwartungen damit verbunden, ob Du Dir dessen bewusst bist oder nicht.

Der andere ist schließlich kein Ding, kein unbeweglicher Stein zu dem Du z.B. sprichst oder auf ihn bezogen innere Vorstellungen und Gedanken hegst. Auch er ist lebender sich ständig verändernder Prozess mit seinen Geschichten, mit seinen Mustern und Vorstellungen genau wie Du. Du kannst keine Erwartungen an den anderen haben, die nicht irgendwann enttäuscht werden. Nichts ist kalkulierbar. Doch natürlich kannst Du kalkulieren, doch der andere ist keine Wand, die Du planst morgen mit einer bestimmten Farbe zu bestreichen, damit Du Dich in dem Raum wohl fühlen kannst. Da ist er vielleicht auf und davon. Auch Du hast vielleicht morgen keine Lust mehr, die Wand gelb zu streichen, sondern lindgrün, weil Du am Nachmittag beim Spaziergang Dich an den im Wind flatternden Blättern der Linde so erfreut hast. Das eine ist dabei nicht schlechter als das andere. Es ist nur anders. Es verändert sich nur alles ständig. Gedanken, Gefühle und Vorstellungen sind keine feststehenden Größen.

Wir sind ohne Anfang und ohne Ende und was immer geschieht, vollzieht sich innerhalb des Evolutionsprozesses. Vertrauen hat nichts mit dem Willen zu tun, sondern eher mit Akzeptanz. Weil Du Vertrauen hast, Du Dich mit Deinem inneren Zentrum, Deinen Wurzeln, der Existenz, Gott, Deinem Hohes Selbst, Deinem Herzen verbunden fühlst, kannst Du dem Geschehen vertrauen. Du vertraust und gleichzeitig akzeptierst Du. Vertrauen und Akzeptanz gehören zusammen. Ein Mensch, der im Vertrauen lebt, aus dem Vertrauen in sich, der es einfach in sich spürt und daraus fließt, hat auch keine Akzeptanzprobleme. Er weiß, er ist Ausdruck des Gesamten und wenn er am Gesamten etwas anders will, müssen sich in ihm selbst Transformationsprozesse vollziehen können, damit sich daran was ändert. Das geschieht durch Akzeptanz der gegenwärtigen Situation, durch Hingabe und nicht durch Verurteilung und Ablehnung. Was abgelehnt wird, kann sich nicht verändern. Das Abgelehnte wird sich immer wieder in verschiedenen Gewändern präsentieren, bis es erkannt und angenommen wird.

Wenn Du eine Wunde am Fuß hast, wirst Du nicht versuchen, den Dir abzuhacken oder ihn amputieren zu lassen und Dir einen künstlichen dafür anflicken lassen. Du wirst Deinen Fuß liebevoll behandeln und alles mögliche unternehmen, damit es ihm gut geht und er schnell heil wird und wieder voll funktionstüchtig ist und Du Dich dafür als Ganzes wieder heil und vollständig fühlst.

Doch im geistig-seelischen wird es ständig gemacht. Für auftauchende Schmerzen über etwas werden Schuldige gesucht. Es wird projiziert, abgelehnt, verdrängt und verfälscht und das Ergebnis ist, dass wir statt immer heiler, vollkommener, reiner, klarer zu werden, zu Wesen, die von tiefem Mitgefühl, Liebe und Vertrauen durchdrungen sind, zu bettelnde und jagende Persönlichkeitein werden, die ihre inneren Verluste suchen im außen durch Besitz und Macht auszugleichen. Statt wahren Reichtum in immer höheren Maße zu verbuchen, wächst die Armut inmitten von Besitz und Habe und Bildung. 

Bist Du im Vertrauen, im echten Vertrauen, verbunden mit Deinem Herzen, lässt Du die Trauer und die Freude, den Verlust und den Gewinn, den Sieg und die Niederlage gleichermaßen zu. Du suchst im außen nicht nach Schuld für Deine Trauer, für Deinen Verlust, für Deine Niederlage über oder von etwas. Der Frieden, die Liebe, das Vertrauen, die Einheit in denen Du verwurzelt bist bleiben davon unberührt. Die Wurzel wird sich so weiter verzweigen und tiefer wachsen. Die Blätter kommen und gehen.

Selbst in deiner Trauer und im Verlust, der scheinbar nur mit den äußeren Bedingungen und anderen etwas zu tun hat, bleibst Du bei Dir und fällst nicht in Hass, Wut und Verzweiflung und Vernichtungsdrang der Dich überwältigt. Selbst, wenn Du solche Gefühle in Dir aufkommen fühlst, wirst Du sie wahrnehmen, ohne dass Du die Verbindung zu Deinem Herzen verlierst. Du teilst die Welt dadurch nicht und wirst nicht geteilt. Du hast aufgehört, Erwartungen aus einer Handlung zu hegen. Du bist so mit dem Augenblick verbunden, dass Dein Bewusstsein nicht geteilt ist, Dein Vertrauen von nichts abhängig ist, weil Du Dir der Vollkommenheit des Augenblicks bewusst bist.

Du weißt, der Tod kann Dir den Körper nehmen, so wie der Herbst dem Baume die Blätter nimmt, doch das Wesentliche, das Wesen bleibt.

Liebe Marie, wenn etwas aus Dir selbst entspringt, aus Dir selbst fließt, spürst Du es und das ist so hoheitlich und heilig, dass Du die Vollkommenheit darin spürst und da erwartet man einfach nichts daraus. Du wirst vielmehr zur Staunenden über das Leben. Was aus Dir selbst, Deinem tiefen Innersten fließt, ist nicht manipulierbar. 

Doch alles, was Du einfach aus einer Reaktion aus dem gespeicherten  Wissen  aus dem Verstand heraus tust, ohne dass Du es als Wahrheit aus Dir aufsteigen spürst, ist zweifelbehaftet und zwar von Dir selbst und deshalb hängt es Dir an. Aus so einem Augenblick gehst Du nicht frei hervor.

Das Wesen vom Denken ist Zweifel.

So ist auch das Vertrauen, das dem Denken und Wollen  entspringt von Anfang an zweifelbehaftet. Um das besser aushalten und ertragen zu können, kommt der Glauben zur Hilfe. Doch er ist eine Krücke.

Dein Verstand kann benutzt werden von der Herzensenergie, diese zum Ausdruck zu bringen. Er kann aber auch durch reine Gedankenspiele, die in Dir stattfinden wie ein entarteter Selbstläufer fungieren. Das geschieht dann, wenn praktisch das rein Dir Aufgesetzte, Übergestülpte, Dich Geprägte, das Verfälschte das, der oder die Handelnde ist. Vertrauen ins Leben ist dabei nicht möglich, sondern wird ersetzt durch Kontrolle, Macht- und Habgier, Schuldzuweisungen und Unersättlichkeit.

Zu Vertrauen bedeutet, Akzeptieren und in Liebe bleiben unabhängig von den sich ständig verändernden äußeren Umständen.

In diesem Sinne
Herzliche Grüße an Dich 
Malina

 

 

                  

 

 

 "Im Denken ohne Halt,
der Lehre nicht beflissen,
wer im
Vertrauen schwankt,
kommt nie zu weisem Wissen."
38. Vers

                                     

                                                          

 aus dem" Dhammapada"

 


Ins

 

 

 

 Hier geht es zum 4. Brief an Marie: "Vertrauen und Freiheit" 

Hier geht es zum 6. Brief an Marie: "Vertrauen und Vertrauen" 

 

 

"Was dein Feind nicht wissen soll, das sage deinem Freunde nicht."

Arthur Schopenhauer

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"Misstrauen ist ein Zeichen von Schwäche." 

Mahatma Gandhi

"Jeder, der mit seinem Verstand identifiziert ist statt mit seiner wahren Stärke, dem tieferen, im Sein verankerten Selbst, wird die Angst als ständigen Begleiter haben." 

Eckhart Tolle