Vertrauen und Verstand (7. Brief an Marie)
Liebe Marie,
Du fragst, ob man nicht dem, was aus dem Verstand kommt, trauen kann. Liebe Marie, sicher kannst Du es, doch Du wirst es nicht. Der Zweifel ist ein ständiger Begleiter von allem, was Du tust und sagst und denkst, wenn Du nicht gleichzeitig die Verbindung mit Deinem Herzen oder nenne es der Existenz, Gott oder dem Höherem Selbst wahrnimmst. Der Verstand wird dabei trotzdem immer existent bleiben und je klarer dieser ist, desto besser kann er als Diener fungieren. Doch wenn Du Dich nur mit dem Verstand verbunden fühlst oder als solcher fühlst und daraus agierst ohne selbst wahrhaft präsent zu sein, dann ist die Antwort auf das Leben, dass JETZT ist nicht richtig, auf jeden Fall nicht richtig für Dich. Du hast selbst nichts davon. Mag sein, dass sie zufällig trotzdem gerade Mal passt, doch in Dir wird sie wahrscheinlich trotzdem Zweifel wecken. Auf jeden Fall wird sie Dich kaum voran bringen. Sie lässt Dich stehen oder wirft Dich zurück. Zweifelsohne ist nur das, was der augenblicklichen Situation angepasst ist und das ist, das ist immer nur eine Antwort auf das Jetzt und keine Reaktion wie aus einem programmierten Roboter. Du kennst diese Momente, in denen Du Dich vollkommen im Einklang fühlst, weil das Leben in Dir pulsiert und Du wunschlos, klar und tief entspannt bist. Ich unterschätze dabei nicht die Intelligenz, die ein Roboter bereits haben kann. Doch das hat nichts mit Leben und Fortschritt und Entwicklung und Reifung für das Leben, für das Lebendige zu tun. Das Thema können wir gerne nochmal gesondert angehen. Eine Antwort sollte immer einer Schöpfung gleichkommen. Bist Du präsent, wirst Du spüren, wie oft Dich Deine eigenen Antworten in Staunen versetzen. Du fühlst Dich selbst neu darin. Du weißt, eine Ich-Persönlichkeit mit all ihren Begrenzungen ist dagegen starr. Du musst darüber hinausgehen, wenn Du den Lebensstrom in Dir spüren willst. Weißt Du, es gibt Menschen, die sind z. B. mit ihrem Beruf vollkommen im Einklang. Sie werden durch ihr Tun genährt und nicht verzehrt. Sie leben dabei, doch für viele ist es nur ein Job, um später leben zu können. Sie sind nicht wirklich präsent darin und fühlen sich mehr und mehr unzufrieden. Antwortest Du auf das Leben rein aus dem Verstand, wirst Du mit Gedanken verwoben sein, die Dich in Gedanken hängen lassen und darin festhalten. Der Zweifel ist der Begleiter. Antwortest Du aus dem Moment spontan, aus der Stille und Entspannung und fühlst keine Gedanken in Dir kreisen, die Dich umkreisen, dann bleibst Du frei, zweifelsfrei. Das, was höher ist als Dein begrenztes Ich, hat praktisch geantwortet. Es war eine Antwort aus der Präsens des Augenblickes heraus und damit wunderbar lebendig und wahrhaftig. Dieses Leben spürst Du in Dir fließen. Kein Wiederholungszwang hat Dich geleitet und kein Zwang etwas oder jemanden zweckbestimmt zu bedienen. Bei einer spontanen Antwort hat der Verstand gar keine Zeit, die neue Situation mit einer alten zu vergleichen und sich eine Antwort zurechtzulegen. Du hörst auf, neuen Situationen mit alten Antworten zu begegnen. Eine geistig-seelische Entwicklung und Reifung kannst Du an Dir selbst nur erleben, wenn Du aufhörst, wie ein Roboter zu reagieren und stattdessen auf deine Herzensverbindung achtest und darauf, dass im Verstand Ruhe und Entspannung herrschen. Der Verstand soll helfen, z.B. eine Antwort zu formulieren und auch helfen, z.B. wenn Du einen Satz schreibst, das Komma an die richtige Stelle zu setzen usw. . Das im Verstand gespeicherte Wissen hat also durchaus seinen großen Nutzen, doch er soll bei seinem Job bleiben und Du bist mehr als Dein Verstand. Sei Dir dessen bewusst und Du als Einheit mit dem Göttlichen, mit Deinem Herzen bestimmst. Also bitte, lass den Diener nicht Deinen Job Hu, denn dann bleibst Du stehen und wirst nicht weiter wachsen und reifen und nicht den Lebensfluss in Dir spüren und Dich damit nicht stets neu fühlen!
Noch ein paar Merkmale zum Verstand. Der Verstand ist nicht nur ein Werkzeug, das uns dient, die Gedanken darin in einer entsprechenden Form zu verknüpfen und Informationen zu speichern und Vorstellungen zu entwickeln. Er ist gleichzeitig eine Werkstatt, in der wir im Endeffekt unser ganzes Leben produzieren aufgrund von Informationen, die alle über den Verstand gehen, ihn durchlaufen. Wir schaffen darin die Welt, wie wir sie sehen und erleben. Und doch werden wir uns damit nie ganz fühlen, egal welch meisterhafte Inszenierungen darin stattfinden, die wir dann als Projektion erleben. Es bleibt eben immer nur ein Werk, dass wir damit schaffen und können nicht uns selbst darin erkennen und finden. Das ist unmöglich. Wir bleiben isoliert und getrennt von der Welt des anderen, denn der hat seine eigene Werkstatt, worin er die Welt schafft, in der er sich erlebt. Es ist wichtig, dass wir der Herr über diese Werkstatt sind, ohne uns damit zu identifizieren, denn nur so können wir eines Tages darüber hinausgehen. Wir können nur das verlassen, was uns nicht gefangen hält und das, was wir nicht sind. Wir können nur das effektiv nutzen, zu unserem besten Wohle und zum Wohle des Ganzen, was wir nicht sind. Das, was darin passiert, darf keine Macht über uns haben und darf uns nicht kontrollieren und bestimmen. Wenn wir dem, was darin geschieht dem Selbstlauf überlassen und nicht mit Bewusstsein, mit uns als das, was höher ist als der Verstand durchdringen, wird schnell der Teufel sich darin breit machen. Er liebt dieses zu Hause. Schließlich ist es seine Geburtsstätte. Wo sonst sollte der Teufel geboren sein? Wie sagt man auch so schön: „Ist die Katze aus dem Haus, dann tanzen die Mäuse.“ und so können wir sagen, sind wir nicht durch unser Hohes Selbst, unserer Göttlichkeit präsent, übernehmen Gedanken die Kontrolle und damit uns. Mir kommt gerade die Ballade „Der Zauberlehrling“ von Goethe in den Sinn. Wer sie kennt, weiß, was passiert ist, als der Meister außer Haus war. Wir brauchen die Kontrolle über unseren Verstand und nicht andersherum. Das Höhere sieht und weiß mehr. Es hat den besseren Überblick. Dem zu Vertrauen gilt es. Es gilt, dem Herzen zu Vertrauen. Schauen wir mal in ein Pflegeheim, in dem an Demenz erkrankte Bewohner leben. Was ist mit den ihren Verstand? Das, was sie sagen, woran sie sich erinnern, die ganzen Gedanken ergeben oft gar keinen Zusammenhang mehr. Alles scheint durcheinander geraten zu sein. Sie haben keine Kontrolle mehr über ihren Verstand, über ihre Gedanken, die darin ihr Unwesen treiben. Sie sind darin vielleicht nicht mehr verhaftet, aber auch nicht präsent. Sie sind praktisch abgestürzt und begreifen sich nicht als jemand, der bewusstseinsmäßig soweit entwickelt ist, dass Gedanken nicht mehr der Steuermann sind, sondern gesteuert werden. Sie sind ausgeliefert der Willkür von Gedanken und Erinnerungen, von unerlösten Blockaden und Traumas. Das Bewusstsein, das jeder „normale“ Mensch noch hat, das sich von Kindheit an entwickelt, ist ihnen auch noch verloren gegangen. Sie leben aus dem Unbewussten. Sie sind in Unbewusstheit versunken. Doch leider nicht nur das. Tiere leben auch aus Unbewusstheit und das sehr gut. Sie haben gut funktionierende Instinkte und daraus tun sie das für sie selbst und die Gemeinschaft Richtige. Ihre Verhaltensweisen unterliegen programmierten Reaktionsmustern. Doch der Mensch in diesem Zustand ist da in einer absolut hilflosen Position, in einen hilflosen Zustand gefallen. Er ist gefallen. In der Werkstatt Verstand ist der Teufel los. Die Maschine ist praktisch kaputt gegangen. Das kann passiert sein durch permanente Überlastungen, Verdrängungen, Überforderungen, Vergiftungen. Der Verstand ist ein Teil unseres Organismus wie jedes andere Körperteil auch, auch wenn wir ihn nicht dingfest machen können wie z.B. den Magen oder den Darm. Doch das Gehirn entspricht Materie. Es hat eine sichtbare Form. Missbrauch führt zu Entartung und Degeneration. Wenn wir uns permanent falsche Nahrung zuführen, ob in physischer Form oder in Form von Gedanken, von Handlungen, die nicht unserem Wesen entsprechen, kommt der Schaden promt. Der Verstand mit seinen Gedankenkonstruktionen darf nicht die Macht über den Menschen haben und dem Menschen als Ganzes seiner Würde und seiner Fähigkeiten berauben. Lass das nicht zu! Sei gegenwärtig! Die Stille, das bist Du und daraus sprich, handele und lebe. Liebe Marie, eines möchte ich noch betonen. Wo immer Du gerade stehst, wie Deine Welt aussieht, es ist nichts falsch. Es gibt keine falschen Orte, keine falschen Menschen, mit denen wir zu tun haben und auch kein falsches Denken. Es ist einfach Denken. Die Frage ist, wieweit identifiziert man sich damit, bzw. lebt identifiziert damit. Wir alle befinden uns auf derselben Treppe und diese Treppe hat viele Stufen und jede Stufe zu betreten und zu erfahren, ist wertvoll und wichtig, um zur nächsten Stufe weiter zu gehen. Wir machen alle unsere Erfahrungen auf jeder Stufe, mit dem Verstand, mit dem Körper, mit dem Bewusstsein, das alles durchdringt und das was wir bereits tief in uns spüren, was verwirklicht werden will. Es geht darum, dass wir nicht stehen bleiben. Ein Kind, das in die Schule kommt, freut sich auf die erste Klasse und ist ganz gespannt, was es dort so erwartet und was es lernen wird. Doch, wenn es die erste Klasse fünfmal wiederholen würde, weil sich Lebensangst eingestellt hat, das Vertrauen in die Ungewissheit des Lebens verloren gegangen ist, wird sich Frustration einstellen mit wiederum seinen Folgen. Pseudoängste führen praktisch in die Not und immer tiefer in die Klemme, in den Stillstand, in die Depression, letztendlich in den Tod, ohne dass das angelegte Potenzial verwirklicht werden konnte. Doch, wenn es Freude hat und neugierig ist, was danach kommt, weil es bereits von den Eltern so erzogen worden ist, dass es keine Angst vor dem Leben zu haben braucht, immer wieder ermuntert wird sich auszuprobieren, das Vertrauen am Leben bleibt, seine Grenzen z.B. am Klettergerüst zu erfahren und von Erziehern und Gesellschaft nicht eingeschüchtert worden ist und Raum geschenkt wird, sich zu entfalten, wird sich so ein Kind bis zur vollkommenen Blüte hin entwickeln und Stufe um Stufe zu höherem Bewusstsein sich erklimmen. Wenn die Bedingungen nicht so günstig waren, hat es trotzdem alle Chancen, denn jeder Tag und jeder Augenblick kann alles wandeln und ein Neubeginn ist bis ins hohe Alter möglich, solange man lebt. Das Wichtigste ist, immer wieder sein Herz offen zu halten und wenn es sich verschließt, sich selbst liebevoll zu begegnen, damit es sich wieder öffnet und Du mit Vertrauen Dich dem Leben verschenken kannst.
In diesem Sinne
""Ich denke" ist eine ebenso falsche Behauptung wie "Ich verdaue" oder "Ich lasse mein Blut kreisen." Die Verdauung läuft selbsttätig, das Blut zirkuliert von alleine, das Denken geschieht ohne mein Zutun."
Eckhart Tolle aus " Eine neue Erde"
sj
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"Wenn es nichts gibt, worin und wohin man zu wachsen hat, kann es keine Würde im Leben geben. Dann wird der Mensch zum Ding. Dann bist du nichts Offenes, dann wird dir nichts Höheres widerfahren,...." S. 12
OSHO aus "Herzsutra" innenwelt verlag "Die meisten Menschen weilen nicht in einer lebendigen Wirklichkeit, sondern in einer Begriffswelt." Eckhart Tolle aus "Eine neue Erde" arkana verlag "Du läßt Dir die höchste Gabe entgehen - weil Du nicht vertrauen kannst. Wenn Du etwas lernen möchtest, dann lerne zu vertrauen - mehr brauchst Du nicht." S. 181 Osho "Tantra - Die höchste Ensicht" Danny's Verlag |