Tief- und Höhenflüge (8. Brief an Oskar)
Lieber Oskar,
es gibt Höhenflüge und Tiefflüge. Beim Höhenflug dehnen wir uns eher aus und lösen uns verschmelzend auf. Ein unglaubliches Gefühl ins Formlose hinein. Wir sind dann wie die Krone eines Baumes und spüren das sich Ausdehnen und Wachsen in den Himmel hinein bis hin, dass selbst die Krone sich auflöst, weil wir so angstfrei und hingebungsvoll sind. Keine Grenze ist zu spüren, kein Widerstand. Dazu spüren wir die Wärme des Lichtes sich uns durchdringen. Unsere Wurzeln sind stark und tief und das macht die Höhe und unendliche Weite möglich. Da sind nicht mehr die Grenzen der Person, eines Ichs, einer kreierten Form zu spüren. Alles darf gehen und sich verflüchtigen und so sein wie es ist. Wir fühlen uns frei. Beim Tiefflug ziehen wir uns eher immer weiter zusammen, alles fühlt sich dichter und enger an. Wir wollen festhalten, uns irgendwo festhalten. Wir können uns fast eingeklemmt fühlen und möchten am liebsten explodieren, nur raus aus der Enge, die uns gefangen hält und uns als das wieder spüren, das uns vertraut und sicher ist. Es fühlt sich dunkel an und macht Angst. Wir erfahren Furcht vor dem, was da gerade geschieht. Nicht, weil wir nicht wissen, was das zu bedeuten hat und wo das hinführt. Das wissen wir auch nicht, wenn wir von Licht und Liebe uns durchdrungen und getragen fühlen. Dabei haben wir keine Angst, weil wir unser wahres zu Hause fühlen, uns als das Wesen, das wir sind. Doch warum dann diese Tiefflüge? Oskar, das sind die Momente, die den Sternstunden vorausgehen. Es sind die Momente, wo unsere Wurzeln wachsen, tiefer ins dunkle dringen, die Dunkelheit durchdringen. Es sind die Momente, wo wir mit unseren eingefleischten Mustern konfrontiert werden, an Mauern geraten, die wir errichtet haben. Es sind die Momente, wo wir in die Finsternis dringen, die wir wollten, um das Licht zu erfahren. Wenn der Moment eintritt und das falsche Selbst sich beginnt aufzulösen, bekommen wir Angst, weil es doch für uns unsere Identität bedeutet. Aus dieser Finsternis steigen wir nicht mehr als der empor, der abgestiegen ist. Wir lassen etwas zurück. Es sind Gedankenformen, die uns geprägt und gestaltet haben. Wir beginnen uns da heraus zu schälen. Wenn die Schale sehr festsitzt, ist es nicht immer ganz einfach. Mit fest sitzt meine ich, dass wir sehr stark identifiziert sind. Doch wir können diese Prozesse unterstützen, indem wir intensiv unseren Körper einbeziehen durch intensive unkontrollierte Bewegungen. Wir können uns schütteln oder wild tanzen. Spannend ist es, wenn man mit der Energie die da ist mitgehen kann und genau diese auszudrücken vermag. Das verlangt bewusstes Betrachten. Ich habe dabei immer wieder interessante Erfahrungen gemacht. Einmal habe ich mich während eines solchen Prozesses wahrlich in einer Folterkammer erlebt und ich habe die Körper- und Gesichtsausdrücke dabei rausgelassen, die der Folter entsprachen. Alle Gefühle dazu kamen angekrochen. Ich habe die Quäler praktisch komplett zugelassen, ob sie mir den Arm rausreißen wollten oder die Zunge. Ich konnte es in diesem praktisch von mir, von meinem Licht geschaffenem Raum komplett zulassen, die schlimmsten Qualen, die in diesem Kerker passiert waren und noch in mir eingesperrt. Ich hatte keine Angst, obwohl die Szene von Angst und Panik und Schmerz durchdrungen war. Doch ich erlebte, dass ich nicht bin, was ich erlebe. Das war eine unglaubliche Befreiung, der natürlich tiefe Entspannung folgte und tiefer Frieden. Die Möglichkeit in tiefe Ebenen abzusteigen wird meist erst möglich durch tiefe Entspannung, des sich Ausdehnens. Das Licht dringt in die Finsternis und zeigt uns, was wir gespeichert haben an Schmerz hinterlassenen Erfahrungen. Die Erfahrung will in Liebe zu Ende gebracht sein. Das heißt nicht, dass jede tiefe Entspannung zu so einen Prozess führt. Nein, das hängt auch von vielen Faktoren ab. Will es die Seele und ist etwas reif genug und ist das der Weg für die Seele. Das heißt auch nicht, dass wir solche Erfahrungen nun gutheißen, die uns Schmerz bereiten oder anderen, doch im Durchschauen erkennen wir die Illusion darin und dass es niemanden gibt, der uns Böses will. Es geschieht immer aus irgendwelchen Mustern und einem sich selbst von etwas geplagt und gepeinigt fühlen. Eine Krankheit taucht auch nicht aus heiterem Himmel auf. Dafür müssen immer zuvor die Bedingungen da sein. So ist es mit dem Guten und mit dem Bösen. Oft geht dem halt ein Höhenflug voraus. Wenn wir zu mehr Licht werden, dringen wir automatisch auch tiefer in die Dunkelheit vor, in das, was verborgen ist. Tiefe Meditation macht es möglich, in Bereiche vorzudringen, die tief im Unbewussten liegen und dort beginnt die Erweiterung unseres Bewusstseins. Der Erlösungsvorgang verläuft meist etappenweise. Es tritt praktisch immer wieder eine Zwischenphase ein, wo sich alles stabilisiert und trotzdem ist es ein immerwährender Prozess ohne Stillstand. Doch bei beiden aufkommenden Gefühlen durch Wahrnehmung gibt es etwas, das jenseits von beiden existiert und uns das alles erfahren lässt. Und das ist das bewusste Sein, einer Intelligenz, die jenseits von allem Geschaffenen existiert, indem wir von Anfang an verankert sind und es liegt an uns, ob wir den Weg bestreiten, es bewusst zu erleben. Das hat weder ein Zentrum noch ein Jenseits vom Zentrum. Das bewusste Sein ist jenseits von Innen und außen, jenseits von oben und unten, jenseits von Form und Formlosigkeit und auch jenseits von Licht und Finsternis. Als formlos definieren wir ja letztendlich auch nur eine Form für die wir keinen Namen haben. Wenn ich es formlos nenne, vergleiche ich es mit einer Form. Also enthält es bereits die Form bzw. das Potential einer Form in sich. Bewusstes Sein ist existenzlos und doch existiert es. Existenz ist immer an etwas gebunden, an Raum, an Zeit, an Form, an Gedanken, an Vorstellungen. Wir werden letztendlich zugeben müssen, dass das Leben ein Mysterium bleibt, so sehr es uns gefallen würde, es mit dem Verstand vollständig zu erklären und zu erfassen und uns so die Krone der Schöpfung auf unser Haupt setzen würden. In der absoluten Wahrheit werden wir nur noch verstummen können vor Ehrfurcht vor dem Leben. Lieber Oskar, ist es Dir schon mal aufgefallen, dass Du, wenn Du Dich so richtig selig fühlst, nicht sprechen möchtest, es nicht einmal mehr kannst. Du hast das Gefühl, dass Sprache zerstört und es Dich wegnimmt aus diesem Gefühl der Seligkeit. Und doch haben Sprache und Worte die Gabe, bzw. wir durch Sprache und Worte die Gabe, dass es möglich wird in Resonanz mit diesem Höchsten, was in uns ist zu kommen. Es wird der Tag kommen, das alles möglich ist und man durch nichts mehr aus dem Gefühl des Einsseins weggetragen werden kann. Alle Schichten des Unbewussten, des persönlichen und des kollektiven sind durchdrungen und mit Licht erfüllt. Alles bewegt sich weiter, doch man ist mit nichts mehr identifiziert und fühlt sich von nichts darin mehr gelenkt und bedroht und damit hört alle Bedrohung durch das außen und durch Einflüsse auf, wie auch das Bewerten von Geschehnissen. Oskar, es gibt also keinen Grund zur Sorge, wenn nach Deinem oder einem Höhenflug sich etwas wie ein Absturz anfühlt und Du Dich in Bereichen wiederfindest, die Dich verunsichern. Du verlierst nur ein Stück Gefangenschaft und dringst durch Schichten Deiner Muster, Blockaden, Vorstellungen und Welten zu Deinem Wesenskern vor. Inzwischen durftest Du ja erfahren, dass Du Dich wie Phönix aus der Asche daraus auferstanden gefühlt hast. Daraus hat sich auch noch ergeben, dass Du wieder ein Stück Deiner Firma leichter in andere Hände legen konntest und Dein Vertrauen zu Deinem Team noch einmal eine ganz neue Dimension erfährt. Höchster Profit steht immer weniger im Vordergrund, sondern der Mensch. Du hast sogar noch jemanden eingestellt, um das Team zu entlasten und weil es sich auch finanziell gut verkraften lässt. Du hast vor, künftig nur noch dreimal in der Woche in die Firma zu gehen. Es macht Dir ja auch Spaß. Es ist ja sowas wie Dein Kind und um das willst Du Dich auch weiter kümmern. Doch Du willst nicht mehr so einseitig sein und viel mehr ein bewusstes Seelenleben führen und erleben. Kinder lässt man ja auch irgendwann los, wenn sie reif sind und die Firma ist auch kein kleines Kind mehr, das Du Dir ständig an der Brust halten musst. Du schreibst zu der Sache, die sich für Dich wie ein Absturz anfühlte, auch wenn er nicht sturzbachartig auf Dich zukam folgendes, das ich hier zum Abschluss noch einfügen möchte: „Ich war wirklich hochschwebend. Dann wurde es immer stiller in mir und um mich. Von tiefem Frieden fühlte ich mich durchdrungen. Das hat dazu geführt, dass ich jeden Tag lange Spaziergänge machte und ich wollte auch allein sein, weil ich mich innerlich so übervoll mit Seligkeit fühlte. Es war, als ob ich immer weiter aus mir trete, herausfließe, aus meiner Welt heraus und sie einfach nur sah. Ja, ich nahm mich so beobachtend wahr und gleichzeitig war mir, als ob ich beobachtet werde. Es war so neu für mich, was ich da erlebte, obwohl ich schon ansatzweise in Meditation sowas erlebt habe, aber nicht in der Dimension und nicht tagelang in dem fast gleichen Zustand. Es war dann auch so eine stille Nachdenklichkeit in mir, obwohl ich nicht wirklich dachte oder ich mich von Gedanken geflutet oder gejagt fühlte. Nein, es war so was Stilles, Sanftes, mich Berührendes. Tja und irgendwann dann, kam etwas angekrochen in mir, das sich nicht gut anfühlte. Ich bekam sogar Angst und wurde leicht panisch. Mir war unheimlich zumute. Ich konnte überhaupt nichts mehr machen, verlor mehr und mehr die Kontrolle. Ja, vorher hatte ich die auch nicht, doch da war auch nichts da, von dem ich das Gefühl gehabt hätte, dass es kontrolliert werden muss. Da fühlte ich mich ja frei und gelöst. Doch jetzt fühlte ich mich bedroht, mein Leben bedroht und total verunsichert und ausgeliefert. Doch ich habe schon an Deinen Briefen gemerkt, dass ich Dir das gar nicht so genau beschreiben muss. Du weißt genau, was ich meine. Die Energien fühlen sich so dicht an fast wie Klebstoff, den man von sich reißen möchte. Irgendwann gab ich den Kampf auf, denn ich fühlte mich unterlegen, kraftlos, energielos und einfach schwach und kaputt. Ich habe auch geheult und hätte strampeln können vor Wut. Ach, es war einfach alles da. Doch dann, dann wandelte sich alles wieder. Ohh, das war ein Gefühl! Es flog etwas fast wie ein Blitz davon und ich saß da mit Dankbarkeit und Sprachlosigkeit und irgendwann breitete sich ein Lächeln in mir aus. Eines muss ich sagen, auch wenn die Welt sich nicht gleich grundsätzlich verändert und es halt Etappen sind, so fühle ich doch eine neue Kraft in mir. Auch war ich vorher stark, doch es ist eine Stärke, die ich anders erlebe und die mich insgesamt gelassener gemacht hat. Jedenfalls ist es im Moment so. Es hat mich auch nachdenklicher gemacht auf eine angenehme Art und Weise ohne dass da Gedanken sind, die mich zerfleischen, mich unruhig und rastlos machen. Nein, es ist harmonisch. Gedanken spielen praktisch zusammen ein Lied und singen es mir vor und ich lausche dem neugierig und voller Aufmerksamkeit.“
Herzlichst Malina
Wurzeln schlagen
Wer hoch hinaus Wachsen will, Dem Licht entgegen Muss tief nach unten Ins Dunkle gehn Und weit verzweigte Wurzeln schlagen.
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"Auf dem Markt glaubt niemand an höhere Menschen."
Friedrich Nietzsche „Unsere Augen sind verschlossen, auf dass wir die Dinge nicht sehen können, die uns anstarren, bis die Stunde kommt, wo der Geist gereift ist; dann gewahren wir sie, und die Zeit, da wir sie nicht sahen, erscheint uns wie ein Traum.“ Pos.170
Ralph Waldo Emerson
„Vertraue dir selbst“ aus seinen Essays F. Schwab Verlag
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