Was ist mit der Mode los?

Liebe Alina,

 

du bist verzweifelt darüber, wie Deine Enkelin rumläuft. Als sie mit einem Loch in der Jeans kam, hast Du ihr angeboten, es zu stopfen. Doch sie sagte: „Aber Omi, das ist doch schick.“ Als Du ihr die Bluse bügeln wolltest, sagte sie auch wieder: „Omi das ist doch schick.“ Doch am schlimmsten war es für Dich, als sie mit Minirock und die Strümpfe voller Laufmaschen ankam. Da hat es Dir die Sprache verschlagen und Du hast gar nichts mehr gesagt. Doch still leidest Du unter der Mode und dem Straßenbild, das sich Dir bei Deinem Bummel durch die Stadt zeigt.
Doch nicht nur das. Du gingst in eine Boutique und wolltest Dir eine Bluse kaufen. Die Verkäuferin reicht Dir eine, Du ziehst sie an und Du siehst sofort, dass Du unmöglich darin aussiehst und damit nicht auf die Straße gehen würdest. Die Abnäher lagen schief, versetzt ca. 10 cm unter der Brust und die Verkäuferin sagt, dass muss so sein: „Das ist doch schick.“ Die Schultern hingen zu tief und du hast sofort gesehen, dass das nicht am Schnitt lag, sondern sie Dir einfach zu groß war, doch die Verkäuferin sagte: „Das ist doch schick.“ Ordentlich umsäumt war gar nichts mehr. Dir schien es, als wollten die Hersteller einen Arbeitsgang einsparen und bieten deshalb Sachen mit ausgefransten Nähten an. Doch, was sagt die Verkäuferin? "Das ist doch schick." Du machtest sie darauf aufmerksam, dass die Ärmellänge Dir bis zu den Fingerspitzen reicht und was sagt sie: „Das ist doch schick. Die schoppt man einfach hoch.“
Außerdem empfandest Du, dass das tiefdunkle grün Dir nicht kleidet und sie meinte: „Sie sehn doch schick aus.“ Als hättest Du eine geklatscht bekommen bei all diesem Lob, hast Du die Bluse ausgezogen, ihr gereicht und gesagt: „Gegenüber von Ihrem Laden ist Optiker Siehtnichtgut sein Geschäft, da gibt es schicke Brillen mit farbigen Gläsern und einzigartigen Mustern. Keine Ahnung, ob man durch die was sieht, aber die sind wirklich schick. Da ist bestimmt was für Sie dabei.“
Du fragst Dich nun, was ist mit der Mode los? Wo bleibt die Ästhetik oder ist das etwa der neue Ausdruck von Ästhetik?
Nun, liebe Alina, oberflächlich gesehen, soll die heutige freie Modegestaltung einen Befreiungsschlag  zum Ausdruck bringen. Eine Freiheitseroberung von früheren Zwängen und Einheitstrachten nach dem Motto „Raus aus dem Korsett - rein in den Schlabberlook" oder ins "Alles ist erlaubt und möglich.“ wird dokumentiert.
So ist es heute „in“, sowohl mit zerfransten und kaputten Hosen rumzulaufen oder mit Farbspritzern versehen, als wäre die Farbdose darauf auskippt. Es wird als schick und modern angeboten. Daneben gibt es natürlich schon noch den konventionellen schicken Smoking, den Cut, den Stresemann, das klassische Kostüm, den Bleistiftrock, das wirklich schicke und elegante Abendkleid, die elegante Bluse, die formschöne Hose usw. und auch viele Menschen, die gerne gut angezogen aussehen und es auch tun.
Auch die konventionelle Krawatte und Fliege sind natürlich nicht wegzudenken.
Auch für den Freizeitbereich gibt es ja auch sehr viele schöne Kleidungsstücke, die nicht dem krassen Bild entsprechen, was Deinem Erlebnis entspricht.
Ich sehe täglich wirklich sehr viele Menschen, die ich als gut gekleidet empfinde.

Mich stört im Grunde nicht die „zerrissene“ Jeans oder das T-Shirt mit irgendeinem Geschreibsel darauf, auch wenn ich beides nicht tragen würde, doch wenn ich sehe, der oder die Trägerin trägt sie in Kombination so, dass trotzdem das gesamte Erscheinungsbild, die Persönlichkeit und das Wesen positiv zum Ausdruck kommen, dann wirkt es trotzdem harmonisch und angenehm auf mich. Oft liegt es ja daran, ob uns etwas gefällt oder nicht, nicht daran, was getragen wird, sondern wie und ob es als Ganzes passend wirkt und stimmig zu der Person bzw. zu dem Anlass und Ort. Auch ist zu spüren, ob sich jemand seiner Kleidung gegenüber gleichgültig verhält oder ob er darauf achtet, wie sein Erscheinungsbild sich darstellt.
Dabei geht es nicht darum, jeder Mode hinterherzulaufen. Nein, überhaupt nicht. Man braucht überhaupt mit keiner Mode mitzugehen und es  muss auch nicht der Schrank voller Klamotten sein, um sich so zu kleiden, dass man die Stimmigkeit spürt.
Doch eine gewisse Merkwürdigkeit im Trend ist trotzdem feststellbar.
Zu viele Dinge, die ein gesamtes schönes und harmonisches, ausgewogenes und gepflegtes Erscheinungsbild entstehen lassen, scheinen eine immer geringere Rolle zu spielen und das bei mehr Aufmerksamkeit auf die Mode als zu anderen Zeiten.
Auch die Größe spielt keine Rolle mehr. Es ist auch chic, wenn der Pullover sichtlich drei Nummern zu groß (Freiheitsgefühl)ist oder übergewichtige Frauen Pullover tragen, die sichtlich drei Nummern zu klein sind. (Figur zeigen, Selbstbewusstsein vortäuschen).
Es ist auch in Ordnung, heutzutage in die Philharmonie mit einer abgewetzten Jeans zu gehen und Krawattenträger bei einer Geburtstagsfeier werden schon des Öfteren scheel angeguckt, dass diese wohl überflüssig sei. Wenn man sich dagegen die rote Geburtstagsschleife um den Hals bindet dann ist es wieder hip.
Dann gibt es die ältere Generation, von denen die meisten  noch krampfhaft an alten Konventionen festzuhalten und sich nur mit gedeckten Farben und unauffälligen Schnitten bekleiden, um ja nicht aufzufallen, um sich am besten unsichtbar zu machen.

Das spiegelt auch das erbärmliche gesellschaftliche Bild des älteren Menschen wieder, das natürlich von den meisten übernommen wurde. Wann sieht man denn mal einen Herren über 70, der sich z.B. wagt, noch eine rote Hose zu tragen.
Was ist nur mit unserer Mode los? Was soll ich anziehen?
Nun, das was jemand an Kleidung trägt, drückt ja auch immer ein Stück weit sein inneres Lebensgefühl aus. Viele Menschen fühlen sich in der heutigen Gesellschaft orientierungs- und haltlos. Sie sind leicht zu manipulieren und richten sich gerne nach Idolen aus oder nach dem, was die Masse halt macht.
Doch wenn die Orientierung nur nach äußeren Kriterien geschieht, weil man in der Klicke vielleicht „in“ sein will und deshalb nur schwarz trägt und ausgefranste Hosen oder der Ehemann trägt nur das, was die Ehefrau für ihn ausgesucht hat, auch wenn er davon oft gar nicht überzeugt ist, dass ihm das gar nicht gefällt oder steht. Das führt auf die Dauer dann zu innerer Unzufriedenheit und Frustration, wenn man nur der Außenwelt gefallen will, ohne sich zu fragen, was würde ich denn gerne anziehen und was steht mir denn wirklich.
Das Problem ist nicht, dass man alles tragen kann, sondern das Problem ist, dass die Leute den Zugang zu sich selbst und zu ihren eigenen wirklichen Bedürfnissen soweit verloren haben bzw. noch nicht gefunden, dass sie gar nicht hinterfragen, warum sie einen bestimmten Modetrend tragen und warum sie bestimmte Kleidungsstücke tragen außer dass sie irgendwo dazu gehören wollen.

Kritiklos übernehmen sie einen Modegeschmack, der teilweise gar nichts mehr mit Ästhetik, Schönheit und Harmonie zu tun hat. In der Natur wirkt eine Blume schön oder besonders schön, wenn alle Blütenblätter vollständig vorhanden sind und in fein abgestimmten Farben zueinander passen und die Blätter in ihrer vollen Pracht entfaltet sind.
Diese Blüte macht auf uns einen harmonischen Eindruck. Sie hebt unsere Stimmung. Wir erfreuen uns an ihr und fühlen uns von ihrer Schönheit beschenkt. Doch dieser Schönheit liegen bestimmte Gesetzmäßigkeiten zu Grunde, die jeder Blumen- und Landschaftsmaler des 17. Und 18. Jahrhundert vollkommen beherrschte und die auch die Modeschöpfer der damaligen Zeit vollkommen beherrschten und die universell auf die ganze Kunst angewandt immer gelten. Doch in vielen Bekleidungsstilen der heutigen Zeit wurden diese Gesetze ganz bewusst außer Acht gelassen, um so zu suggerieren, dass wir die vollkommene Freiheit haben und uns nach nichts zu richten brauchen und alles möglich ist.
Doch ist es nicht einfach auch harmonischer für das Auge, auf ein gut restauriertes Bürgerhaus aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu schauen als auf ein modernes Gebäude mit asymmetrischen Fenstern alle unterschiedlich groß, keinerlei Verzierungen und vom Grundriss einfach quadratisch praktisch und dann zwischen wunderbaren Bürgerhäusern eingequetscht.

Die Modeschöpfer selbst haben diese extremen Modestile oft sehr bewusst entwickelt und oft passt es auch zum Wesen derjenigen, die diese Mode präsentieren. Sie soll oft provokant wirken und bestehende Konventionen zerschlagen, damit die Menschen eigentlich wieder zu ihrer eigenen Individualität finden und eben nicht ungefiltert diesen Modestil übernehmen, sondern sich fragen, was ist mein Modestil, mein momentanes Lebensgefühl. Was drücke ich mit meiner Kleidung aus.
So wie die Menschen früher das uniforme Bürokostüm angezogen haben, so ziehen sie heute den Schlabberlook an. So entsteht eine neue Uniformität, die nur in einer anderen Erscheinung daher tritt.
Der heutige Modestil bringt viel von der Gleichgültigkeit gegenüber ästhetischen Normen zum Ausdruck. Es ist egal, ob die Bluse gebügelt ist, die Strumpfhose Laufmaschen hat, die Hose gleich zerfetzt gekauft wird.
Mein Güte, wenn ich daran denke, als ich früher in einem Modegeschäft gearbeitet habe, da musste sogar die Bluse für die Schaufensterdekoration gebügelt werden. Wenn die angelieferte Ware ausgepackt wurde und sie sah zerknittert aus, wurde diese gebügelt bevor sie in den Laden gehängt wurde. Wenn eine Verkäuferin ohne Strumpfhose bekleidet, also mit nacktem Beim auf Arbeit kam, dann wurde sie vom Chef nach Hause geschickt, bzw. musste ins Strumpfgeschäft gehen und sich eine Strumpfhose kaufen. Da scheint heute alles egal zu sein.
Der ganze heutige Modestil bringt die Ohnmacht und Orientierungslosigkeit zum Ausdruck. Es ist die Unfähigkeit wahrzunehmen, womit sehe ich schön und womit hässlich aus. Womit sehe ich vorteilhaft und unvorteilhaft aus. Womit fühle ich mich wirklich wohl und womit nicht. Was unterstreicht meine innere Schönheit, mein inneres Wesen und meine wahren Bedürfnisse.
Die Orientierungslosigkeit drückt sich dahingehend aus, dass einerseits mit der Kleidung gegen die Gesellschaft rebelliert werden soll und gleichzeitig wird auf die gesellschaftliche Konformität geachtet, indem man sich danach richtet, was Stilikonen und Hollywoodsternchen tragen, egal ob es zu einem selbst passt oder nicht. Durch Kleidung wird vorgetäuscht jemand zu sein, der man nicht ist.
Im Endeffekt ist es immer gleiche, man fühlt sich angenommen, wenn man etwas trägt, dass man einer Gruppe zugehört. Man will sich zugehörig und angenommen fühlen.
Doch irgendwann kann diese Illusion aufbrechen und man fühlt dieses innere Hohle und Leere, weil man den Kontakt zu seinen wirklichen Bedürfnissen völlig verloren hat und diese Leere wird dann versucht mit übertriebener Kaufsucht, mit übertriebener Esssucht mit Nikotin, Alkohol und Süßigkeiten zu betäuben.
Es müssen ständig neue Klamotten her, weil die alten nicht mehr gefallen, weil sie sowieso nie wirklich zu einem gepasst haben und so wird sich ständig kurzfristige Befriedigung erschafft.
Trotz allem birgt dieses Wirrwarr an Mode eine Riesenchance. Dadurch, dass alles möglich ist, kann jeder seine Kreativität entfalten und lernen, seinen wirklich innersten Bedürfnisse in Bezug auf Kleidung für sich zu finden und diese durch sein Äußeres zum Ausdruck bringen ohne starre bindende Konventionen von früher.
Jeder hat die Chance, sein eigener Modeschöpfer zu werden für sich selbst. Dazu muss man selbst nicht nähen können, doch man kann bewusst die große zur Verfügung stehende Vielfalt nutzen, um seinen eigenen Stil zu kreieren und man hat die Wahl, es unter ästhetischen und harmonischen Gesichtspunkten zu tun oder auch nicht.
Vielleicht ändert sich so mal das Alltagsstraßenbild hin zu mehr Ästhetik und Schönheit.

Alles in allem muss ich sagen, als ich gestern so als Tourist durch die Erfurter Altstadt bummelte, bot sich mir ein Bild, dass mich doch recht zufrieden stimmte. Einigen Leuten schaute ich sogar noch hinterher, weil sie mir auffallend gut gefielen.
Liebe Alina, ich bin froher Stimmung, dass vieles Alte überhaupt aufgebrochen ist. Aus dem Chaos heraus, kann sich alles neu ordnen.
Alles Liebe für Dich und Grüße Deine Enkeltochter von mir.
Ich freue mich trotz allem über ihren Mut, Dir und ihrer Mutter nicht gefallen zu müssen. :-)

 

Beste Grüße

Malina

 

PS: Bei meinem heutigen Bummel durch Erfurt sah ich tatsächlich einen älteren weißhaarigen, eleganten  Mann mit einen roten Hose und alles andere war auch auffallend schön an ihm. :-)

 

Harmonie

ist die eigentliche

Schönheit.

 

 

 

"Die Außenseite eines Menschen ist das Titelblatt des Innern."

aus Persien

 

 

„Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“


Karl Lagerfeld



"Ich kann nicht begreifen, daß eine Frau das Haus verlassen kann, ohne sich hübsch gemacht zu haben. Sie könnte gerade an diesem Tag ihrem Schicksal begegnen."

 

Coco Chanel

 


"Eine elagante Frau ist immer verliebt in sich selbst."

 

François VI. de La Rochefoucauld französischer Offizier, Diplomat und Schriftsteller

 


"Zwei Dinge wird ein Mann niemals verstehen: Das Geheimnis der Schöpfung und den Hut einer Frau."

 

Coco Chanel

 


"Ihre Kleider sollen so eng anliegen, daß man sieht, Sie sind eine Frau, und so lose, daß man sieht, Sie sind eine Dame."

 

Unbekannt

 

 

"Ein Mann kann sich an eine hässliche Frau gewöhnen, aber niemals an eine nachlässige."

 

Coco Chanel

 

 

"Das schönste Kleidungsstück für eine Frau sind die Arme des Mannes, den sie liebt. Für die, die dieses Glück nicht haben, bin ich da."

 

Yves Saint Laurant

 


"Das Gefühl von Einsamkeit zeigt,
daß man einzigartig ist."

 

Joop

 

 

“Mode wird nicht entworfen, um die Menschen auseinander zu bringen, sondern um sie zusammen zu bringen. Es ist ein Rendezvous mit der Liebe.”

 

Louis Féraud (*1921, † 1999), französischer Modedesigner und Künstler (www.gentleman-blog.de.)

 

 

 

zurück