Statt eines Gedichtes eine kleine Geschichte

 

 

Kleine Rosenknospe

 

„Du malst aber schön und du malst auch schön. Kann ich mit malen?“ So stand sie vor uns mit ihren kurzen, dunklen Zöpfen, den glühenden Augen, den runden, roten, prallen Pausbacken, einer leicht verschnupften Nase in dem hübschen hellen Festtagskleid mit Stickerei.
Wir hatten uns auf der Mauer vor dem Schloss eingerichtet, das Wasser aus der Flasche in die Malgläser gefüllt, das Papier aufgespannt, die Farben zurecht gelegt und begonnen, den Pinsel locker zu schwingen. Wir wollten eigentlich zum See, doch heute war alles abgesperrt wegen einer Veranstaltung und so gingen wir einen anderen Weg durch den Wald und landeten direkt auf dem Schlosshof. Von da aus ließen wir ersteinmal unseren Blick schweifen über die vor uns und unter uns liegenden aufgebauten Zelte, wo das bunte Treiben stattfand. Doch dem wandten wir dann den Rücken zu und fanden auf der Mauer ein Plätzchen von dem aus wir den besten Platz mit Blick auf die vor uns stehenden Rosen hatten, die wir nun malen wollten. Auf der Wiese neben dem Schlossrestaurant, etwas fern von uns waren Tische aufgestellt und ein Fest fand dort statt.
„Oma und Opa haben Perlenhochzeit. Sie haben sieben Kinder.“ So lockte sie meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Und wie viele Enkelkinder haben sie?“ fragte ich das Mädchen mit dem neugierigen Blick. Sie begann genau nachzudenken und nahm ihre Finger dazu und sagte: „Zwölf“ und schon zeigte sie mit den Fingern auf ein Mädchen, das auch dazu gehört. Inzwischen war ein Kommen und Gehen von Kindern um uns herum. Mindestens neunmal landete ein kleiner Fußball vor meinen Füßen oder traf meine Wade und immer mit denselben Worten begleitet: „Entschuldigung!“
Es begann, leicht zu regnen. Ich überlegte aufzuhören, doch Claudius sagte: „Wir machen weiter im Regen. Das ist nicht schlecht für das Bild.“ Es war auch nicht so schlimm und es hörte auch bald wieder auf. Allerdings hatte ich eine Rosenknospe auf meinem Bild wegen des Regens total verwischt.
Claudius und ich tauschten nun unsere Malkästen aus und jeder wollte mit den Farben des anderen weiter malen und dann tauschten wir sie wieder zurück.
Es ist wunderschön für uns, gemeinsam zu malen. Claudius sagte, dass allein malen auch schön ist, doch die Bilder haben dann oft etwas Einsamkeit in sich und das finde ich auch.
Noch am Abend schauten wir uns gemeinsam unsere Bilder an und stellten fest, dass in den Bildern, die im Freien gemalt sind, ein ganz anderes Licht strahlt, als in den Bildern, welche im Raum gemalt sind.
Eines der Kinder fragte Claudius: „Wie viele Bilder hast Du diese Woche gemalt?“ und das gleiche fragte sie mich.
Jedes Detail auf unseren Bildern schien sie zu interessieren, ob es die Rose oder die Rose war oder die Knospe, der Blumentopf auf der Schlossmauer, die Fensterläden, das Festzelt, das, was sie auf den Bildern fand.
Mit unseren Bildern unterm Arm gingen wir dann durch den Wald nach Hause und ich glaube, nicht nur ich fühlte mich wie beseelt mit jedem Schritt.
Wenn ich auf das Bild schaue, habe ich das Gefühl aus jedem Blatt, jeder Blüte und vor allen Dingen aus dem Blumentopf und hinter den Fensterläden schaut mich dieses vor Begeisterung sprühende Mädchen mitten ins Gesicht und berührt mein Herz.

 

Das nächste Mal, wenn ich irgendwo draußen male, werde ich wohl noch einen zusätzlichen Malkasten und einen kleinen Malblock mitnehmen, falls wieder ein kleines Mädchen kommt und mit malen möchte.

 

 

 

 

 

 

                                                                                                                         Ute Malina Rößner 

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