Eine Geschichte statt eines Gedichtes

 

 

Herbststimmung

 

Alles stirbt. Nur Sterben, wohin sich mein Blick auch wendet. Das Vertrauen ist gestorben. Beerdigt bereits die Hoffnung. Im Sterben liegt die Trauer, die uns noch fühlen lies. Die Farben, die Hässliches schön machten, sind eingetrocknet. Die Hände die Kraft verloren, den Pinsel zu führten. Das Smaragdenland, wo schöne Geschichten geschrieben, schon zugeschneit.
Im Mantel gehüllt trete ich dir entgegen. Der Schirm aufgespannt, obwohl es gar nicht regnet. Du und ich. Der rauhe Wind in meinem Gesicht lässt mich den Kragen meines langen schwarzen Mantels hochschlagen und meinen roten weichen Schal schmiege ich ganz nah an meine Haut.
Ich gehe über den Friedhof und bleibe vor den Gräbern stehen und genieße die Stille, die in mir aufsteigt und mich einhüllt.
Uns, unsere Idee im Sarg trage ich hierher und lasse sie herab in das ausgehobene Grab vor dem ich stehe. Die Idee wollte uns ganz, dich und mich und viele andere.
Doch sie will jetzt wieder gehen, so denke ich. Auch sie fühlt sich allein gelassen, so denke ich: Ich denke, niemand ist da, der sie mit Leben erfüllen kann. Sie umarmt mich und ich sie und sie dankt mir, dass ich soweit gegangen bin mit ihr. Denke ich so?
Ich denke, auch sie spürt, keiner will sie und sie weiß, dass ich sie allein nicht tragen kann und hat es nie gewollt.
Ich denke, sie geht mit einer Träne und sagt zu mir: „Ich sterbe nicht in dir und vielleicht begegnen wir uns in 200 Jahren nochmals. Wir sind einfach zu früh gekommen und alle viel zu beschäftigt hier.“
Ich denke und denke und denke alle Gedanken weg. Frei von Gedanken spüre ich den Tanz in mir, der zwischen den Gräbern schwebt. Die „Toten“ sind ganz Ohr geworden und erheben sich vor mir und hüllen mich ein mit ihrem Gesang und säuseln: „Die Idee hast du zu Grabe getragen, weil sie gestorben ist, doch schau doch, es lebt, wofür sie war geboren.“
Ich verlasse den Ort mit leichtem Schritt und lege den Mantel ab und löse den Schal, dass der Wind mich erreicht und du.
Die Sonne streichelt mich und Vertrauen und Hoffnung, eingehüllt in Liebe sind neu geboren.
Deine Hand streckt sich meiner ausgestreckten Hand entgegen. Unsere Schirme abgelegt. Die Augen geöffnet und der Blick erreicht uns.
Goldene Blätter fallen von Bäumen herab und schweben im Wind. Sie tanzen für uns und laden uns ein, uns in den Armen zu halten und mit ihnen zu schweben in den Goldenen Herbst hinein.

09/04

 

 

                                                                        Ute Malina Rößner

 

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