statt eines Gedichtes eine kleine Geschichte aus dem Leben

 

Schauspieltraining
oder
Francesco und mein Lächeln

 

„Ja, warum nicht“. Darauf hatte ich Lust, mal so einen Nachmittag mit Schauspiel zu verbringen. Ich habe es schon als Kind so geliebt, Theater zu spielen.
Doch was mich bei Francesco erwartete, überstieg bei weitem meine Erwartungen, zumal ich ja Urlaub hatte und im Grunde genommen gänzlich ohne Erwartungen dort hingegangen bin.
Ich war schon etwas unsicher, als ich da nun auftauchte und feststelle, das ich da die älteste Nudel bin und alles so recht junge Leute. Die meisten waren da, weil sie Schauspieler werden wollen und bereiten sich so auf die Prüfung zur Aufnahme als Schauspieler vor. Doch damit hatte ich ja nichts zu tun.
Francesso gab uns einen Text und schaute uns an und sagte, wer welche Rolle spielt.
Ich las mir den Text durch und fragte mich, wieso er überhaupt hier noch eine Rollenverteilung bestimmt. Was war das für ein Text?
Doch gerade hier begann etwas, mit dieser Irritation, was mir doch sehr interessante Erfahrungen brachte.
Bis heute bin am lächeln, wenn ich an dieses Gottesgeschenk denke.
Ich bekam also einen Text, einen Dialog, den ich einstudieren musste. Dieser Text war nicht lang und vor allen Dingen nicht zu verstehen. Es war auf den ersten Blick ein Text ohne Sinn und Verstand. Ich fand das total bescheuert und wusste überhaupt nicht, was ich mit diesen ganzen Wortgefügen anfangen sollte, wie ich meine Stimme einsetzen sollte, welche Mimik, welche Gestik. All das war mir rätselhaft bei diesem Text. Irgendwann lachte ich darüber und dann wollte ich schon wissen, was das für Texte sind, die wir da spielen sollen.
Und das war interessant. Francesco sagte: „Ihr sollt euch nicht an den Text festhalten. Der ist nur ein Hilfsmittel.“ Es ging darum, dass wir unsere Gefühle und unsere Stimmung nicht von dem Wort beeinflussen lassen sollten. Wir sollten eigene Gefühle und Stimmungen spielen. Wir sollten es aus unserem Innen holen und uns nicht von außen vorgeben lassen. Lernen, sich nicht von außen beeinflusssen zu lassen, sondern sein Innerstes total kennen. Ein guter Schauspieler ist nur dann gut, wenn er in erster Linie sich durch und durch kennt und er kann erst dann in jede Rolle gehen, wenn ihm seine eigenen Gefühle bekannt sind, die eigenen wahren Gefühle und kontrollieren kann. Er muss praktisch das Wesen eines jeden Menschen erfassen können. Kein Schauspieler kann ein tiefes Gefühl spielen, das er nicht kennt, was er vielleicht sogar fürchtet. Wir können nur kontrollieren, was wir kennen, was uns vertraut ist, ob das unsere lichten Seiten sind oder unsere dunklen Seiten und dazu muss man es zulassen können.
Das klang mir alles sehr logisch. Schließlich muss ein Schauspieler sich mit einer Rolle vollkommen identifizieren können, um sie glaubhaft zu spielen und dazu muss er einsteigen in diese Energien und doch muss er in der Lage sein, nachdem er z. B. den ganzen Tag Proben hatte, am Abend wieder diese Rolle ablegen können, so wie man die Kleidung wechselt. Der Autoschlosser zieht ja auch etwas anderes an, wenn er unter das Auto krabbelt, als er dann nach Feierabend nach Hause geht.
Gefühle spielen? Theater hatte für mich plötzlich überhaupt nichts mehr mit Spiel zu tun. Das fand ich auch gut. Ich hatte das Gefühl, beim Theater geht es nicht darum, hinter einer Maske eine Rolle zu spielen, sondern darum, alle Masken müssen abgelegt werden, um authentisch eine Rolle spielen zu können.
Man trägt nicht irgendetwas vor oder präsentiert etwas, nein man ist jemand. Plötzlich ist man jemand, eine Person, die man noch garnicht kannte und es ist so ein erhebendes Gefühl zu wissen, das man es ist. Es war kein Spiel.
Mein anfangs leicht unsicheres Gefühl, die Älteste dabei zu sein hat sich sehr schnell gelegt. Bei mir spürte ich etwas, was ich nur durch meine Lebenserfahrung sein konnte. Ich habe meiner Seele das „Spiel“ übergeben und sie machen lassen und meine Seele beeindruckt mich immer wieder.
Sie ist einerseits so offen und andererseits voller verborgener Geheimnisse, die sie mir nur nach und nach, so wie sie will, offenbart.
Fancesco fragte uns, ob wir Donnerstag wiederkommen und irgendwie war es klar.
Mittwoch hatte ich diese Privatlesung bei einer Frau, die es gerne wollte, dass wir zu Ihr nach Hause kommen, weil es für ihre Mutter sehr schön wäre, doch sie kann nicht mehr aus dem Haus.
So gingen Adele und ich nachmittags in die Wohnung dieser alten Dame. Adele spielt Flöte. Es ist immer sehr schön, wenn nach drei bis vier Gedichten eine kleine Pause ist und die Leute können beim Flötenspiel ein bisschen in sich versinken un das Gedicht wirken lassen. Hier waren diesmal besonders viele Pausen gewünscht und da es so eine kleine Runde war, konnte ich mich auch gut darauf einstellen. Die Dame weinte bei fast jeden Gedicht. Ich war ja so gerührt, dass diese Frau so berührt war und ihrer Mutter kamen sehr starke Erinnerungen bei meinen Gedichten, die sie dann erzählte. Sie begann halt dann auch Geschichten zu erzählen. Natürlich suche immer erst kurz vor einer stattfindenden Lesung die Gedichte raus, die ich lesen werde, damit sie die richtigen für das jeweilige Publikum sind.
Mittendrin klingelte es und Caroline kam. Sie fand es schade, dass sie nun so spät kam. Sie wusste nichts von der Lesung und kam zufällig vorbei. Caroline ist Krankenschwester in einem Berliner Krankenhaus und sie war nun auch begeistert, so dass sie uns fragte, ob wir ins Krankenhaus kommen könnten und für die Patienten lesen und Flöte spielen.
Nach der kleinen Lesung gingen dann meine Büchlein rund und Grußkarten und Blätter mit Bildern und Gedichten. Sie kauften dann ein paar Sachen von mir.
Ich muss mir langsam mit den Gedichten etwas einfallen lassen. Meine Büchlein mit Gedichten und Bildern sind ja ganz schön, doch die Leute wollen ja nicht alle meine Bücher kaufen. Das ist denen meist zu teuer und so brauche ich ein Buch, worin alle meine Gedichte sind. Das kann dann auch ohne Bilder sein. Doch Verlage haben mich bisher alle abgelehnt. Lyrik ist halt ein Luxusgeschäft für jeden Verlag und wenn sie schon Lyrik verlegen, dann nur für Stammautoren oder man sollte mindestens bereits 150 Jahre tot sein.
Donnerstag wieder Theatertraining. Es ist wirklich Training. Der Körperausdruck darf nicht gespielt wirken, sondern muss in vollkommener Harmonie mit den Gedanken, Gefühlen und dem gesprochenen Wort sein.
Ich erzählte Francesco von meinen Lesungen, dass ich hier bin, um Impulse zu bekommen, wie ich diese noch besser, noch szenischer gestalten kann. Außerdem kann es ja auch mal sein, dass mich, auch wenn ich weiß und spüre, das ganze Publikum es toll  findet und aufmerksam zuhört, dass einer dazwischen sein könnte, der stänkern will und diese Person mich dann vielleicht aus meiner Energie reißt und alles ist plötzlich gestört.
Francesco sagte. „Deshalb bist Du hier. Das passiert Dir dann nicht.“     
Das Spiel war wieder sehr spannend. Nicht nur das selber spielen. Ich liebe es auch, zu beobachten, wie die anderen sich zum Ausdruck bringen.
Ich stelle immer wieder fest, dass die Leute viel mehr über ihre dunklen Seiten wissen, jedoch sie fürchten und deshalb nicht wirklich kontrollieren können und sie deshalb verborgen halten wollen. Sie wissen kaum etwas über ihre lichten Seiten.   Über diese wissen die Menschen viel weniger und das macht sie traurig und sie schämen sich deshalb für ihre dunklen Seiten und verwenden sehr viel Energie, diese zu verstecken bin hin zu kämpferischen Verhalten. Doch hier wagen sie die dunklen Seiten zu spielen. Was jedoch die lichten Seiten anbelangt, die Freude und das Glück kommen nicht in der Intensität zum Ausdruck. Tiefes Leid können fast alle spielen, aber die Wonne, die Freude, den Jubel, die Ausgelassenheit, das Strahlen und Heiterkeit kommen kaum in dieser Reinheit und Intensität zum Ausdruck.
Vielleicht gibt es deshalb auch soviele Filme, wo das Drama im Vordergrund steht, weil für die meisten tiefe Gefühle mit Leid verbunden sind.
Doch Gefühle sind Gefühle und ihnen liegt die gleiche Energie zugrunde.
Doch ist ja kein Wunder, die Menschen sind alle damit beschäftigt, sich mit dem Mangel zu beschäftigen und dem nachzugehen und die Aufmerksamkeit liegt nicht auf der Fülle. So sind sie geprägt von Kindesbeinen an.
So wird eingeteilt in gut und schlecht und wieviel schlechtes wir in uns haben und wie mangelhaft wir sind, bekommen wir ja beizeiten eingeredet und immer wie wir besser und besser werden können.
So beginnt beizeiten ein Versteckspiel.
Alles, was versteckt wird, beginnt ein Eigenleben, das jederzeit außer Kontrolle geraten kann.
Doch nocheinmal zurück zum Spiel. Jedenfalls mussten wir so uns selbst in das Wort bringen. Wir bestimmten mit unserer Stimmung und unserem Gefühl das Wort. Wir sollten uns nicht von dem Wort beeinflussen lassen, deshalb waren die Texte einfach sinnlos. Das Innen bestimmte das außen und nicht das außen löste das Gefühl aus.
Wir lassen durch Worte ständig Stimmungen in uns erzeugen, durch laute Worte, leise Worte oder wenn wir es lesen.
Permanent werden unsere Abwehrmechanismen in Gang gehalten und genährt oder unser Ego gepeppelt und gepeppelt.
Nun war ich an der Reihe und Francesco sagte zu mir, dass ich den Text singen soll.
Ha, ich musste lachen, denn zu niemanden sagte er, dass er den Text singen soll, doch zu mir, zu mir, die nicht singen kann und ihr Leben lang, dass schade findet, weil ich gerne singe.
Doch mir klingen bis hin von meiner Musiklehrerin die Worte in den Ohren, dass ich nicht singen kann. Wenn ich gesungen habe, sollte ich immer aufhören, weil man meinen Gesang nicht hören wollte.
Ich sagte das zu Francesco und meinte er: "Ach deshalb habe ich das zu dir gesagt." Er milderte das ab und sagte, dass ich auch summen kann.
Ich sollte mit meinem Gesang auf einen jungen Mann zugehen. Ein junger Mann spielte die Rolle.
Ich begann zu summen und plötzlich war ich nicht mehr da. Ich spürte kurz vorher noch meine Lippe wie einen schweren Stein, der sich hineingelegt haben musste und da wusste ich, dass mein nichtsingen können, mit einem Fluch zu tun hat, den ich mir selbst aufgelegt hatte in einer früheren Inkarnation, als ich für Männer singen musste.
Doch hier vergass ich alles und summte.
Es wollte mir keiner mehr glauben, dass ich nicht singen kann. Es war schweigen.
Ich war eingetaucht in meinen Summen, in meinen Gesang.
Doch ich kann immer noch nicht singen, doch jetzt ist es mir egal. Ich singe trotzdem, wenn ich Lust habe.
Das waren für mich wirklich zwei wertvolle Tage. Wir waren schon draußen auf der Treppe im Gehen und plötzlich steht Francesco  da und fragt, ob ich am Wochenende komme. Es ist ein Seminar zwar nicht reines Schauspiel, doch er arbeitet auch viel mit Schauspiel und es wird sicher sehr schön.
Ich sagte ihm, dass ich nach Berlin gekommen bin, um Urlaub zu machen und er sagte: „Das ist Dein Urlaub. Deshalb bist Du gekommen.“ Ja, so war es wohl.

 

 

 

 
 

                                                                  Ute Malina Rößner