Angegriffen (8. Brief Sonja) 

 

 

Liebe Sonja,

 

ein bisschen schmunzeln musste ich schon über Deine Erzählung, wie es Dir auf der Oldie Party ergangen ist. Du  hast Freunden erzählt, dass Du Dich für sehr  viel für Dich Neues interessierst und zwar für Spiritualität und Selbstfindung. Du hast Ihnen erzählt, daß Du jetzt täglich meditierst, in die Stille und in die Natur gehst, der Fernseher aus bleibt und Du spirituelle Bücher liest und mir, dass darauf im Grunde keiner so reagiert hat, was Dir Zustimmung signalisiert hätte. „Das ist doch alles Quatsch. Drehst Du jetzt ab? Überlege mal, wie alt Du bist. Hattest wohl zu viel Zeit? Musst wohl noch nicht wieder arbeiten? Was ist als nächstes dran? Verschwörungstheorien?"wurde Dir gesagt. Du schreibst weiter: „Dann erzählte ich Greta, weil ich wirklich dachte, die versteht mich, welche Bücher ich jetzt konkret so lese, welche Videos ich mir so anschaue und über meine neuen Ansichten und Einsichten, die ich schon gewonnen habe. Doch auch sie sagte, ich hätte wohl Langeweile und fragte nur, wie ich auf den Tripp gekommen bin. Doch frag nicht, in welchem Ton. Es war verachtend.“ Na und von Johannes und Jana hast Du nur ein überhebliches Grinsen empfangen.

Tom wäre dann auf Dich zugekommen, den Du bisher nur vom Sehen kanntest, der das an dem Abend beobachtet hatte und Dich angesprochen: „Sonja, ich würde gern mit Dir ein bisschen spazieren gehen. Ich finde es toll und interessant, was Du Deinen Freunden erzählt hast. Ich war ganz Ohr. Ich bin neugierig. Ich selbst meditiere seit kurzem auch und ich liebe die Natur. Stundenlang kann ich allein durch den Wald und über Wiesen wandern. Das ist die reinste Wandermeditation. Auch habe ich angefangen, Yoga zu praktizieren. Das hat mir schon jetzt ein völlig neues Körpergefühl verliehen und es bringt Ruhe in den Kopf und damit ist auch mein eigener Aggressionspegel entschieden gesunken. Ich versuche auch in mir mehr Klarheit zu finden und will herausfinden, ob es mehr gibt, als täglich dasselbe Programm abzuspielen, bei dem mich immer wieder Frust, Sinnlosigkeit und Unzufriedenheit gepackt haben. All das, was ich im außen bisher so ziemlich vergebens suchte, versuche ich jetzt in mir aufzuspüren.“

Es blieb allerdings bisher bei diesem abendlichen Gespräch, wodurch der Abend  zwar etwas erholsam und auch inspirierend für Dich wurde, doch Deine Freunde und Bekannten verstehen Dich deshalb trotzdem nicht. Es wurmt Dich, dass Du Dich so für Dein Empfinden abgewertet und belächelt gefühlt hast. Du fühlst Dich so ausgezogen, auch wenn Du es selbst warst, die sich geöffnet und mitgeteilt hat. Doch Du ahntest nicht, dass Du dafür mit „verfaulten Eiern“ beworfen wirst. Du ärgerst Dich inzwischen, dass Du von den Erlebnissen erzählt hast, die Du während mancher Meditationen hattest und wie Du beginnst, vieles vom Alten schon neu wahrzunehmen und wie sehr Du Dich aus heiterem Himmel unendlich geliebt und wertgeschätzt fühlst.  Du hast Dich erinnert und mir geschrieben: "Meine Großmutter hat schon immer gesagt: "Wirf Deine Perlen nicht vor die Säue." Doch, wenn man so im nichts Böses ahnenden  Freudenrausch ist, ahnt man doch nichts Böses. Da ist man doch nicht vorbereitet, wie auf eine Diskussionsrunde im Betrieb, wo es um eine optimale Lösungsfindung geht bzgl. einer Aufgabe. Da ist man auf Konflikte vorbereitet und außerdem ist das ganz anders."

Es ist Dir so heilig Sonja und Du wolltest Dich doch nur Freunden mitteilen, weil Du Dich so übervoll fühltest. Dann, als Du bemerkt hast, gegen was für Felswände Du da gekracht bist, hast Du so gedacht: „Die gucken eben lieber ins Glas, in den neuesten Handykatalog oder in ihren Kleiderschrank als ins Herz. Als Informationsquelle genügen ihnen die Abendnachrichten im Fernsehen und dann kommt Netflix dran. Herz zählt wahrscheinlich nur, wenn sie Herzragout auf dem Teller haben.....Mag ja sein, dass ich etwas übertrieben habe und  vielleicht ungerecht bin, doch so ist das nun mal, wenn man  wütend ist und sich ärgert, oder nicht?" Ja, Du hättest Dir am liebsten vor Wut und Ärger in den Hintern gebissen. In Dir tauchte die Frage auf: „Freunde? Ist das überhaupt mehr als eine Floskel? Nennt man Freunde Freunde nur, wenn man sich toll findet und die gleichen Interessen hat? Auf jeden Fall kann es sich nicht um Freunde handeln, die einen verhöhnen und das Vertrauen missbrauchen. So habe ich es jedenfalls empfunden. Wenn sie mich einfach so verletzt hätten, dann könnte ich damit noch irgendwie umgehen und auch verzeihen. Doch was einige taten war ganz zielgerichtetes verletzen, beleidigen und mich lächerlich machen wollen. Die halten sich doch selbst nur nicht aus. Wieso habe ich nur nicht eher gemerkt, von wieviel Dummheit und Arroganz ich umgeben bin? Ich blöde Gans!“

Der Abend, liebe Sonja, scheint ja, auf beiden Seiten viele Emotionen hervorgebracht haben. Ist doch manchmal gar nicht so schlecht, wenn letztendlich jeder daraus etwas lernt, oder wenigstens einige. Selbst, wenn nur einer und das Du selbst bist, ist es lohnenswert gewesen. Was euch alle verbindet, ist dass jeder in sich einen Konflikt spürte, er sich offenbart hat. Ein Konflikt strebt nach Auflösung und dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. 

Liebe Sonja, trotz dessen, was Du an dem Abend erlebt hast und es Dir missfallen hat, so ist es trotzdem eine wichtige Erfahrung. Was zeigt es Dir? Das ist doch die Frage und nicht, wie Du nun am besten und schnellsten, andere Dich verstehend machen kannst.  Es geht darum, dass andere Dich nicht mehr aus der Schwingung von Liebe reißen können und was Du dafür tun kannst. 

Die Pflanze des Neuen in Dir ist noch klein und zart und benötigt Deine volle Aufmerksamkeit und auch Schutz, damit sie wachsen kann. Ein Same wird auch erst einmal in die dunkle satte Erde gelegt und beginnt dort sich zu entwickeln und zu entfalten. Läge er auf der Erde, könnte er vom Regen irgendwo in den nächsten Gulli gespült werden oder von irgendjemandem, der gerade des Weges kommt zertreten werden. Nein, der Same benötigt die optimalen Bedingungen, um sich optimal entfalten zu können, zu dem, was in ihm angelegt ist. Du selbst schaust noch zu sehr auf das Äußere, weil die Wurzeln in Dir noch nicht stark genug mit dem Inneren verbunden sind und Du praktisch den Faden im Zusammensein mit den andern verloren hast. Deine Freunde haben Dir die noch schwachen und jungen Wurzeln gespiegelt, sonst hätte es Dich nicht weiter beeindruckt, egal was sie sagen. Du hättest es gehört, doch es hätte Dich nicht geschwächt und verletzt. Der Tom war da schon bewusster und wacher, weil eure Wege einander ähnlich scheinen und spiegelte Dir das Neue in Dir und so fühltet ihr euch wohl miteinander. Es fühlt sich gut an, wenn die Schwingungen und Interessen zusammen passen. Interessant ist doch auch, dass er sich nicht mit in die Herde begab und sich nicht in die Diskussionen mit mischte. Nein, sein Bemühen ging dahin, Dich da rauszuholen. Er hat das Fruchtbare, das, Neue genährt. Das ist wirklich bemerkenswert, denn stell Dir vor, es entstehen plötzlich zwei Lager durch zwei sich in ihren Meinungen feindlich gegenüberstehende Gruppen? Die Eskalation, die daraus entstehen kann, wäre gefährlich und  äußerst destruktiv, wenn die Liebe als Verbindung nicht überwiegt. Tom hat sich sehr wach und vernünftig verhalten  ohne einem Anflug von dem Bedürfnis, seine Kräfte zu messen. 

Liebe Sonja, zum Anfang zurück, ich habe einfach nur deshalb gelächelt, weil ich von mir und von anderen weiß, die aufgestanden und losgegangen sind, dem Ruf ihres Herzens gefolgt sind, oft ähnliches erlebt haben. Doch vergiss nicht, was Du schon alles an Wunderbarem erlebt und erfahren hast und dann  war  da Tom und so werden viele neue Menschen und Situationen in Dein Leben treten und es wird sich vieles verändern. Altes fällt ab oder wandelt sich zu etwas Neuem. Solche Prozesse laufen halt nicht unbedingt reibungslos ab.

Das Massenbewusstsein ist eine zähe Masse, worin jede Menge unterdrückte Gefühle, Wünsche, Meinungen und dergleichen brodeln. Da ist jede Menge Wut und Ärger, der hinter lächelnden Fassaden verborgen liegt. Das Übliche ist, dass der Mensch, was er nicht versteht, erstmal ablehnt. Was, soll er tun? So funktioniert der Verstand und wenn man die Herzensebene ausschaltet, die den Verstand in so einem Fall zurück treten lässt und einfach die andere Meinung wertfrei zulässt, dann passiert das. Der Verstand hat schnell Angst und fühlt sich in seiner Existenz bedroht. Also lehnt er ab. Das kann dann eben so weit gehen, dass er versucht, den anderen zu verurteilen, ihn regelrecht nieder zu machen, seine Wut und Hässlichkeit auf den anderen projiziert. Dummheit, Arroganz und Aggressivität gehen oft Hand in Hand. Neue Ansichten werden halt nicht verkraftet, also wird bekämpft und abgewertet und das womöglich noch unter dem Deckmantel, der Friedliche und Frieden Liebende zu sein und der andere wird als Bedrohung dargestellt und verunglimpft. 

Fühlt sich jemand unterlegen, den anderen sich selbst überlegen, dann wird vielleicht auch noch versucht, den anderen zu demütigen, ihn dumm zu machen in der Hoffnung, er fühlt sich dann schlecht. Man nimmt ihn einfach mit seiner Meinung nicht für voll. Das passiert vor allem, wenn man gar nicht mehr weiter weiß. Hohn und Spott, wenn auch etwas subtil, werden zum Ausdruck gebracht, um eine kalte Dusche zu verabreichen.

Ich sag Dir eines. Zieh Dich zurück und verschwende nicht Deine Energie, andere von etwas zu überzeugen. Lebe, was Du bist. Wachse, reife und nähre das Liebespotential in Dir. Gib Dich der Transformation hin. Das genügt. Lass den Verstand sich auf keine Spielchen einlassen. Wie heißt es so schön: „Die Wahrheit ist wie Schwefelsäure. Die frisst sich überall durch.“ Lass das Kämpfen. Spüre die Schlachtfelder nur in Dir selbst auf und schaffe Frieden. 

Bist Du total mit Deinem Herzen verbunden, wirst Du das sagen, was auch das Herz will. Was immer es ist, es wird Dich und den anderen voran bringen. Wenn eine Situation daraus entsteht, die Dich irritiert, wirst Du in keinem Fall in die Projektion gehen, sondern in Dich tiefer dringen, um zu erfahren, warum das jetzt so ist. Du willst die Botschaft erkennen. Du bleibst Deinem Herzen verbunden und somit im Mitgefühl mit dem Andersdenkenden. Du bleibst verstehend.

Wenn Du genau hinschaust, wirst Du erkennen, dass die Situation trotzdem nützlich war. Du kannst einsichtiger werden, wenn Du darin Deine eigene Unsicherheit und auch noch Abhängigkeit für Dein Wohlbefinden von anderen erkennst. Was hättest Du davon gehabt, wenn Dir alle gesagt hätten, wie toll sie das finden, was Du machst. Es wäre nichts anders. Das, was geschehen ist, hat Dein Ego verletzt und wenn sie Dich gelobt und Dir geschmeichelt hätten, hätte es Dein Ego gefüttert.

Es wäre Heuchelei, wenn sie etwas loben und angeblich toll finden, wovon sie keine Ahnung haben. In beiden Fällen haben sie nur sich selbst was vor gemacht. Denk daran, was andere gegen Dich sagen, sagen sie über sich. Höre einfach immer gut und wach zu. Dabei bleibst Du unverletzt, bleibe der Wahrheit Deines Herzens verbunden, selbst wenn es etwas ist, das Du im jeweiligen Augenblick vom Verstand her nicht verstehst. Doch der Moment der Klarheit folgt mit Gewissheit, wenn es dem Herzen entsprungen ist.

 Tom war anders. Er hat beobachtet und ist neugierig geworden. Das ist schön. So kann man sich begegnen und einander begeistern und wohlwollend befruchten und sich weiter entfalten. 

Bei ihm war Dir gegenüber weder ein Gefühl von Minderwertigkeit, noch Überlegenheitsgehabe, also keine Angst da. Er war offen und konnte Dich einlassen und freundschaftliche Begegnung war möglich. Auf freundschaftliches Verhalten, darauf kommt es an und das gegenüber Freunden und Fremden, Gleichgesinnten und Andersdenkenden. So lösen sich Feindschaften auf und vermeiden das Entstehen von welchen.

Hier gleich ein Tipp. Versuche nie, dass andere Dich verstehen sollen, sondern versuche, den anderen zu verstehen. Dann bist Du in der Lage, ihn da zu begegnen und vielleicht abzuholen, wo er steht.

Wenn eine Kindergärtnerin anfängt, plötzlich mit den Kindern Spanisch zu sprechen, weil ein kleiner Spanier in die Gruppe neu hinzukam und es ihr gefällt, ihre Spanischkenntnisse endlich anzuwenden, dann hat sie den nächsten Tag sicher nur noch ein Kind in der Gruppe und welches das ist, kannst Du Dir denken. Die anderen haben sich abgewendet, wenn sie nicht parallel übersetzt und eine für alle interessante Erfahrung daraus macht.

Liebe Sonja, es ist einfach noch so, dass für viele Menschen nur das real ist, was greifbar, sichtbar und berechenbar ist. Vor allem hängt jeder an seiner Meinung, wie an der Mutterbrust. Es gehört zu seinem Gebäude, das ihm scheinbare Sicherheit verleiht und wenn Verlust droht, kommt Panik mit seinen Folgen.

Für heute genug.

 

Liebe Grüße

Malina

 

 

 

 "Wenn du kritisiert wirst,

dann musst du irgendetwas richtig machen.

Denn man greift nur denjenigen an,

der den Ball hat." 

 

Bruce Lee

 

 

 

Hier geht es zum 7. Brief an Sonja : "Gibt es ein Rezept?" 

 Hier geht es zum 9.Brief an Sonja: "Aggressivität" 

 

"Selbstfindung heißt deshalb, in Frühling mit sich selbst kommen, sich dem eigenen Inneren stellen. 

Wer bin ich selbst?" 

Peter Lauster 

"Selbstfindung" 

 

 

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