Emotionen (10. Brief Sonja) 

 

Liebe Sonja,

 

Du hast Dich regelrecht überrascht gefühlt, als Du Dich plötzlich nach ein paar Tagen, während denen Du Dich mit den Emotionen, dem Unbehagen die ganze Zeit noch wie schwanger gefühlt hast, dann von einem Moment zum anderen davon befreit gefühlt hast. Du kannst es nicht erklären, weil es wie aus heiterem Himmel geschah. Du spürtest die Liebe durch Dich strömen. Kein Anflug von Ärger mehr über das Verhalten und auch über Dich selbst bzgl. der Ereignisse eurer Oldie-Party waren noch zu spüren. Du fandest es plötzlich regelrecht albern, ob es nun Dein Verhalten war und das der anderen. Es kam Dir plötzlich vor, wie ein Kasperletheater was da abgelaufen war, obwohl doch an dem Abend alles todernst war. 

Liebe Sonja, schön, wie Du Dein Erleben und Deinen Prozess beschreibst. Das Beste kommt immer wie aus heiterem Himmel über uns, ohne dass wir es erklären können oder dass wir es erwartet hätten. Wir können  versuchen, es zu verstehen, doch gehen dabei immer etwas kläglich aus. Das Wunder, das wir darin fühlen bleibt unerklärlich.

Emotionen sind wie der Dampf einer Triebkraft, die in uns wirkt und uns ganz schön vernebeln kann. Die Triebkraft entsteht dadurch, weil etwas angeschaltet wurde, etwas wurde berührt und dieses etwas will, dass etwas  erkannt wird oder es fordert zu einer Handlung auf.

Emotionen zeigen also immer einen Zustand an und weisen auf etwas hin, das angeschaut und erlöst sein möchte. Du hast Dich nach dem Erlebnis tagelang schwanger gefühlt, wie Du schreibst. Wenn es sich dabei nicht um eine tatsächliche Schwangerschaft handelt, so wie in Deinem Fall, handelt es sich meist um eine Erlösung, man könnte auch sagen, um die Wiedergeburt eines verdrängten Seelenanteils. Ein Seelenanteil will in Dir wiedergeboren werden. Dieser kann in dieser Inkarnation oder in einer vergangenen durch ein reales stark verletzendes Erlebnis verdrängt worden sein. Wir haben die Fähigkeit zu verdrängen, um aktuell bestehende Situationen aushalten zu können. Es ist eine Überlebensstrategie, die uns innewohnt. Allerdings schmälern wir dadurch unsere Erlebnifähigkeit, verzerren sie und unser Seelenpotenzial schrumpft. Der Raum in dem sich das Leben ausdrücken kann, wird also enger. Wir fühlen uns eingeschränkter, auch wenn wir es mit dem Verstand nicht erklären können.

Doch glücklicherweise geht nichts Verdrängtes verloren. Es bleibt uns erhalten, auch wenn es inzwischen wie in einem Gefängnis dahinvegetiert und wir zu verzerrten Wahrnehmungen kommen. Dieser Anteil, dieses Potenzial wartet, bis sich eine Situation ergibt, bis wir soweit sind, diesen verdrängten Teil wieder zuzulassen, von dem wir nicht mal mehr etwas wissen. Doch unser Herz weiß Bescheid und über unsere Intuition werden wir in Situationen geleitet, die eine Erlösung einleiten kann. 

Auch unsere alltäglichen Konditionierungen, denen wir von Geburt an ausgesetzt sind, bestimmen was in uns Emotionen auslöst. Wir haben dabei jedoch die Gelegenheit zu prüfen, was dahinter liegt. Das müssen wir jedoch nicht und werden es auch nicht tun, solange wir die ausgelöste Emotion nicht negativ bewerten und sie uns kein anhaltendes Unwohlsein verschafft. Doch wollen wir tiefer schauen, weil wir einen Konflikt spüren, der in uns arbeitet, dann gelingt dies, indem wir Projektionen fallen lassen und in uns fließen lassen, was fließen will. Wir müssen dafür bereit sein, uns und die Emotionen auszuhalten. Beobachten heißt hier das Zauberwort. Durch Beobachtung gewinnen wir Distanz und lösen uns aus der Identifikation. Doch der Emotionen Ausdruck verschaffen ist natürlich einfacher und anfangs sehr hilfreich. Nur benutze dafür nicht Dein Gegenüber. Du kannst das allein für Dich ausdrücken. 

Du hast Dich schwanger mit Emotionen gefühlt, wie Du schreibst. Das heißt, Du hast bereits einen gewissen Abstand wahrgenommen und damit konntest Du den ablaufenden Prozess geschehen lassen.

Wenn Du real schwanger bist, spürst Du auch das wachsende Embryo in Dir, doch fühlst nicht, dass Du es bist, obwohl es in Dir ist.

Die Emotionen, liebe Sonja sind dabei nicht das, womit Du schwanger warst. Sie sind eine Begleitung gewesen, so eine Art Wehen, die helfen das ans Licht zu befördern, was integriert werden soll. Weiter oben habe ich von Dampf gesprochen, der alles vernebelt, doch denk an die Dampflokomotive, die den Dampf braucht, um etwas von hier nach da zu bewegen.

Emotionen zeigen immer etwas an. Sie vereiteln schnell den realen Blick auf eine Situation und gleichzeitig weisen sie auf etwas hin. Wir nehmen etwas durch eine beschlagene Brille wahr. Durch Emotionen fühlen wir uns von etwas stark angezogen oder stark abgestoßen. Sie können uns zu etwas aktivieren oder uns lähmen, regelrecht handlungsunfähig machen. Sie sind intensiv mit unseren Erinnerungen und Erfahrungen verknüpft.

Wie hätten Deine Freunde Dich an dem Abend verletzen können, wenn Du Dich trotz ihres ablehnenden Verhaltens nicht minderwertig oder schuldig gefühlt hättest, Deinen Gefühlszustand nicht abhängig von den ihrer Meinung über etwas gewesen wäre. Du darfst anders denken und fühlen und Dein Leben nach Deinen Bedürfnissen gestalten.

Manchmal ist es einfach so, dass wir uns schon als Kind oft abgewertet gefühlt haben, sei es durch Lehrer und Erzieher oder auch durch andere Kinder. Indem wir bewertet werden, werden wir schon abgewertet. Die meisten von uns haben doch beizeiten erfahren müssen, nicht gut genug zu sein und unfähig zu sein, den Erwartungen anderer gerecht werden zu können.

Wir denken zu lange, dass wir das müssen, um uns wohl zu fühlen. Dabei gibt es keinen echten Zusammenhang zwischen dem, dass wir uns wohl fühlen, weil andere sich mit uns wohl fühlen. 

Der Lehrer fühlt sich wohl, wenn er brave und hörige Schüler hat und die Gesellschaft gleichermaßen, doch damit fühlen wir uns schließlich nicht gleichzeitig wohl. Im Gegenteil, unsere Widerstände können uns ganz schön zu schaffen machen und jede Menge Emotionen auslösen. 

Wir mussten lernen, uns zu verleugnen und zu kontrollieren, um nicht an den Rand gedrängt zu werden. Dabei haben wir nicht gemerkt, wie wir uns dadurch von uns selbst, von unserem Wesenskern immer weiter entfernten und damit unsicherer dem Leben gegenüber wurden.

Du hattest Dich nach dem Abend für ein paar Tage immer wieder zurück gezogen in Stille und Meditation und warst bestrebt aufzuspüren, was Dich wegen dieser Sticheleien so ärgerlich und wütend gemacht hat und aus der Bahn geworfen hat. So konnten die inneren Prozesse ungestört und wertfrei ablaufen.

Emotionen bringen immer etwas in Gang…… Gerade ist mir ein komisches Vieh auf mein Kleid gefallen. Ich weiß nicht, ob es vom Baum herabfiel oder es angeflogen kam……..Wäre es ein Marienkäfer gewesen, hätte es Freude in mir ausgelöst und sicher hätte ich ihn auf meine Hand krabbeln lassen und ihn beobachtet bis er davon fliegt. Doch es war ein Tierchen, vor dem ich mich sofort geekelt habe und ich bin aufgesprungen, damit es von meinem weißen Kleid herunter fällt. Eine Emotion, die auf eine reale Situation begründet ist, löst immer eine Handlung aus.

Natürlich könnte ich mich jetzt fragen, wieso entstand bei diesem kleinen glitschigen Tierchen in mir Angst und Ekel und bei einem Marienkäfer nicht. Doch die Frage stelle ich mir nicht. Es ist reine Konditionierung. Jeder kennt den Satz aus seiner Kindheit: „Fass das nicht an!“ Jungens werden meist etwas anders konditioniert als Mädchen und sind für glitschige Tierchen nicht so anfällig. Im Gegenteil, sie versuchen manchmal kleine Mädchen damit noch zu ärgern. Ich könnte sofort eine Reihe an männlichen Wesen aufzählen, bei denen das nicht annähernd dieselbe Emotion wie bei mir ausgelöst hätte, angefangen bei meinem zweijähren Enkelsohn.

Ich bin in dem Fall nicht daran interessiert, hier in mir etwas aufzulösen. Ich darf einfach in solchen Situationen weiter „Ihhh“ sagen und dem aus dem Weg gehen. Manche Konditionierungen finde ich gar nicht so schlecht. Sie haben ja auch was mit Ästhetik und Kultur zu tun.

Unsere Emotionen, die nicht immer auf Konditionierung beruhen, können uns vor realen Gefahren warnen und schützen. Dabei handelt es sich eher um Emotionen, die durch Instinkte ausgelöst werden.

Mir geht es hier vordergründig um die Emotionen, die durch von Menschen gemachtes ausgelöst sind und uns unseres Seelenpotenzials beschneiden. Dubiose Ängste mindern unsere Lebensqualität. Es geht um Emotionen, wo etwas dahinter liegt, das sich aufzulösen lohnt. Deine Feinfühligkeit wird dadurch nicht eingeschränkt, im Gegenteil sie wird ausdrucksstärker und klarer. Deine Wahrnehmung wird schärfer und nicht von Emotionen abgeblockt und verzerrt. 

Du hast mir geschrieben: „Ich war plötzlich nur noch dankbar für das, was geschehen ist. Es fühlte sich im Nachhinein wie ein Geschenk an, indem etwas verborgen lag, an dem ich mir näher kommen konnte. Ich konnte wieder für alle Liebe fühlen. Niemand von ihnen war mir schlecht gesonnen. Es waren einfach Emotionen, die in ihnen auftauchten, von denen sie sich belastet fühlten. Sie fühlten sich im Grunde durch mich abgewertet in ihrer Lebensweise, sahen sich von mir im Mangel gesehen und deshalb gingen sie als Verteidigungsstrategie auf mich los, fern jeglichem Mitgefühl und fern jeglicher Vernunft. Ich diente einfach als Projektionsfläche.“ 

Weißt Du Sonja, die Emotionen sind an sich ja nicht das Problem. Das Problem, das sich als Hindernis darstellt, ist doch meist die Wertung und der Umgang damit. 

Wenn durch einen heftigen Windstoß ein Baum aus der Erde gerissen wird, fällt er um. Vielleicht kommt jemand und pflanzt ihn wieder ein, wenn es ein kleiner Baum war oder er wird sterben. Auch ein Baum ist beseelt und so werden sich während des Sturms Reaktionen abgespielt haben. 

Doch er wird nicht darüber nachdenken, wer das nun verursacht hat. Er überlegt nicht, ob der Wind schuld ist oder seine schwachen Wurzeln ihm das Unglück beschert haben. Er fragt sich nicht: „Lag es an mir oder an das, was, von außen auf mich gewirkt hat?“ Er empfindet keine Trennung, sich nicht als ein Ich existierend. Er befindet sich auf einer sehr unbewussten Stufe im Gegensatz zum Menschen in seiner Entwicklung. Wenn der Mensch voll bewusst ist, hört er auch auf zu projizieren und einander Vorwürfe zu machen. Er wird jeweils erkennen, dass alles aus einem großen Zusammenhang heraus geschieht, weil alles zusammenhängt.

Das eine bedingt das andere und das andere fordert das eine heraus. 

Wenn wir uns über Täter-Opfer-Sichtweisen hinaus begeben, auch wenn das manchmal sicher sehr schwer fällt, können wir Zusammenhänge wahrnehmen und damit Mitgefühl entwickeln und uns weiter und größer erleben. Wir lösen damit die Identifikation auf.

Es ist Dir gelungen, Dich nach diesem Emotionsschwall zurück zu ziehen und in Dich zu gehen. Du bist nicht in der Verurteilung stecken geblieben und in die Ignoranz und Ablenkung gegangen. Du hast den Blick nach innen gewendet, wenn auch nicht gleich. Das ist Dir halt noch nicht gelungen und ist auch kein Problem. Es gehörte einfach zu Deinem Entwicklungs- und Erkenntnisprozess. Ich betone immer wieder gern, dass wir nichts Fertiges sind und nie sein werden. Wir sind lebende Prozesse und haben die Fähigkeit, uns als solche mitsamt dem Geschehen, das uns als solche betrifft, bewusst zu erleben. Das ist doch toll. Es fühlt sich nicht alles toll dabei an. Das ist mir klar. Meine Emotionen haben mich schon so manches Mal in meinen Leben fast in den Wahnsinn getrieben, insbesondere seitdem ich bewusst den Herzensweg eingeschlagen habe. Doch sie erwiesen sich am Ende immer als Geburtswehen mit denen etwas Verborgenes das Licht des Bewusstseins erreichte. Das bezieht sich auf die Emotionen, die in Verbindung mit Blockaden standen. Dabei erweist sich der Verstand immer wieder als die größte Blockade.   In der Meditation schaffen wir es über ihn hinaus zu gehen. 

Dem Herzen zu folgen, bedeutet, seiner Intuition zu folgen, die in engem Zusammenhang mit dem Herzen steht und gleichzeitig mit der Seele. Deshalb ist dieses ständige nach innen Lauschen so bedeutsam. Es wird irgendwann zu Deiner Natur. Der Verstand ist aber unter der Intuition angesiedelt. Wenn Du der Intuition folgst, Deinem Herzen folgst, tust Du vieles, was der Verstand nicht begreift und nicht einordnen kann und dadurch spielt er verrückt und das löst Emotionen aus. Da muss man dann durch und darauf achten, im Herzen verankert zu bleiben. Sobald Du dem Verstand die Oberhand schenkst, fällst Du in Emotionen, wenn etwas für ihn Unverständliches abläuft. Du musst ihn behandeln wie ein liebes Kind oder einen treuen, liebevollen Diener. Ein Hausmeister kann nun mal nicht den Betrieb leiten in dem er angestellt ist.

Dem Herzen verbunden bleiben, darum geht es. So löst Du Dich Stück für Stück von allem, was Du nicht bist. Du gewinnst Abstand. Du nimmst nicht mehr wahr von der Peripherie, wo Du von Windboen hin und her gerissen wirst und Du Dich damit identifiziert fühlst. Etwas in Dir bleibt still, unberührt und in Frieden. Diesen Frieden kannst Du in die Geschehnisse fließen lassen. Deshalb ist es so wichtig, dass Du selbst immer heiler wirst, denn damit wird auch das Ganze immer heiler und friedvoller. 

Wir leben in einem Zeitalter, wo wir so weit entwickelt sind, dass wir selbst die Erlösung bewusst vollziehen können. Wir erleben dabei, dass wir nicht allein sind, sondern geistige Kräfte und ein großer Verbund von Seelen daran beteiligt ist.

Auch wenn ihr euch unter Freunden an diesem Abend feindlich gegenüber gestanden gefühlt und verhalten habt, so waren eure Seelen es mit Gewissheit nicht. Die Seelen lassen schmerzliche Prozesse gleichermaßen wie die sich wunderbar anfühlenden zu, denn ihr geht es um ihre Befreiung und dass wir die eine große Seele in allem erkennen. 

Wir haben die Gabe, intuitiv eine Situation wahrzunehmen und zu durchschauen. Doch der Verstand hat in unserer Kultur und Entwicklung so eine Priorität bekommen, dass die Stimme der Intuition nicht wahrgenommen oder überhört wird. Wenn wir ständig in Denkprozessen verstrickt sind, handeln wir auch vordergründig aus dem Denken heraus und nicht aus der Intuition. Auf diesem Weg handeln wir uns viele Unannehmlichkeiten ein, mit denen wir uns anschließend rumschlagen müssen, um die innere Ordnung wiederherzustellen und das läuft nicht selten schmerzlich ab. Außerdem bedeutet es Umwege. 

Wir sind so auf den Verstand fixiert aufgewachsen und wenn wir dann anfangen, uns nach dem Herzen zu orientieren, weil wir spüren, das ist der Weg, um uns wieder ganz und heil zu fühlen, macht uns natürlich der Verstand auch Probleme und die emotionalen Prozesse in die wir dabei geraten bleiben nicht aus.

Doch, Du spürst ja jetzt schon, dass es sich lohnt und Du weiter Deinem Herzen folgen willst, wo immer es Dich hinführt.

Ich wünsche Dir weiterhin Freude auf diesem Weg und dass Dein Vertrauen in Dein Herz immer stärker ist als in den zweifelnden Verstand.

 

Herzliche Grüße

Malina

 

 

 

 

 

 

 

"Nichts, worüber Sie sich ärgern,

wird tatsächlich von dem ausgelöst,

was Sie für die Ursache des Problems halten." S. 106

 

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Hier geht es zum 9. Brief an Sonja:"Aggressivität" 

 Hier geht es zum 11. Brief an Sonja: "Angst" 

 

 "Die Verdrängung ist wohl der jedermann geläufigste Abwehrmechanismus. Wer sich vornimmt, nicht mehr zu verdrängen, erlebt eine Kränkung natürlich besonders bewusst und schmerzlich. Er muss die Angst aushalten, die entsteht, wenn er die Kränkung gedanklich oder im Gespräch durcharbeitet."S. 144

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"Der Schmerzkörper braucht deine  Unbewusstheit. Das Licht der Gegenwärtigkeit hingegen kann er nicht ausstehen."

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