Angst (11. Brief Sonja) 

 

 Liebe Sonja,

 

Du schreibst mir, dass es Dir scheint, dass der Weg des Herzens etwas Paradoxes hat. „Ich fühle, wie richtig er ist und dass ich mehr Wachheit in mir fühle als je zuvor. Ich fühle mich beschenkt und oft, wie von unsichtbaren Kräften, die mir durch und durch wohlgesonnen sind umhüllt und getragen. Ich sehe und erlebe Dinge aus einem komplett anderen Blickwinkel und bin einfach nur berührt. Doch dann sind aber auch mehr Ängste und mehr Emotionen als je zuvor. Ich fühle mich plötzlich allein gelassen und auf unsicherem Boden. Ich weiß dann keine Richtung einzuschlagen. Nichts weiß ich. Ich bekomme Wut und schmeiße Kissen durch die Bude. Eine Vase ist dabei schon in Scherben gegangen. Gerade die, die Gerald mir vor einigen Jahren zum Geburtstag schenkte mit Blumen, die ich nicht mochte. Es geht nicht vor und nichts zurück und ich ertrage kaum diesen Zustand und möchte am liebsten sofort sterben, nur damit es vorbei ist. Manchmal bekomme ich Panik und ich weiß nicht, wo die plötzlich herkommt. Da habe ich mich neulich geschüttelt und geschüttelt und habe sogar mit der Panik gesprochen. Der größte Quatsch fällt einem dabei ein. Das kann man eigentlich keinem erzählen. Die denken, man ist verrückt, voll daneben. Das hätte ich vor einem Jahr auch noch, wenn mir das jemand erzählt hätte. Deshalb erzähle ich es auch nur Dir. Doch bevor ich praktisch zum Sterben komme, ich so in mir meine vollkommene Bereitschaft zu sterben akzeptiere und ich mich in den Tod gleiten lasse, ist alles plötzlich wieder hell und klar um mich. Ich kann dann nur noch heulen vor Dankbarkeit und Seligkeit über das, was geschehen ist. Tiefe Demut ergreift mich und ich schäme mich fast dafür, dass ich schlecht über den Herzensweg denken konnte. Kannst Du mir dazu was sagen? Ich bin übrigens froh, dass ich den Austausch mit Dir habe und ich mich Dir mitteilen kann. So vieles ist eben so neu und tiefgreifend, doch leben tu ich ja nach wie vor in den Gegebenheiten wie sie sind und bin davon umgeben.“

Liebe Sonja, ich erinnere mich, als ich vor ca. 20 Jahren mit dem bewussten Herzensweg begann, (ach im Grunde war es bereits viel früher) und mit intensiven Meditationen, war ich zwar allein mit meinen tiefgreifenden Erlebnissen, doch ich konnte mich über vieles mit jemanden austauschen, der sehr spirituell war und das tat schon gut und hat mir auch gefallen. Ich erlebte Wunder über Wunder und wenn mir jemand erzählt hätte, was möglich ist, ich hätte es nicht geglaubt. Wir werden nicht allein gelassen und bekommen immer, wenn notwendig jemanden zur Seite.

Was Du als Paradox empfindest, ist, dass Du Dich in einen Reinigungsprozess befindest. Da kommt das Verborgene aus allen Ecken angekrochen und weil Du es über so viele Jahre verdrängt hast, empfindest Du es fremd und vieles ist mit negativen Erinnerungen belegt, was alles so in die Heilung kommen will. Das Unbekannte ängstigt. Keiner will Angst haben und deshalb halten die meisten Menschen an ihren Lebensgewohnheiten, an ihren Einstellungen und an ihren Gewohnheiten fest. Sie vergöttern ihren Verstand, der möglichst alles kontrollieren soll. Damit ist die Verdrängung perfekt. Dabei ist Angst nicht das Problem, wenn sie als Schutz vor einer realen Gefahr warnt. Doch um diese Ängste geht es jetzt nicht.

Es ist gut, dass Du Deine Gefühle, die alle so angekrochen kommen, ausdrückst. Gefühle bewusst auszudrücken ist was Schönes, denn darin kannst Du soviel erkennen und Wandel erleben. Da gibt es plötzlich kein hässliches Gefühl mehr, wenn Du es auf niemanden projizierst, sondern es für Dich tust. Du kannst es durch viele Tätigkeiten ausdrücken. Folge ruhig weiter Deinen Impulsen. Was solls, da geht halt auch mal eine Vase zu Bruch.

Um in neue Bereiche des Lebens und auch des Seelenlebens vorzudringen, muss man das Vertraute verlassen. Es war einem zwar vertraut, doch Vertrauen und Sicherheit hat es einem doch nicht wirklich geschenkt. Vor allem muss man die Kontrolle durch den Verstand loslassen und das ist ja erst Mal gar nicht so einfach, denn das wurde uns doch eingetrichtert.

Meine Erfahrung ist, dass ich im Grunde nichts loslassen müsste. Es hat mich immer wieder losgelassen oder ich fühlte, es mir genommen. Ich habe so manches Mal nach meinem Verstand greifen wollen, doch er war nicht da. Doch das waren immer nur kurze Momente. Manchmal konnte ich sie absolut nicht fassen, denn plötzlich war etwas größeres da, das mich trug. Doch bei großen Zwischenräumen habe ich auch schon Panik erlebt. 

Du verlässt praktisch langsam die Herde, in der Du Deinen Platz hattest, bzw. den Platz, den Du darin hattest. Du hast Dich mit Deinem Leben immer so wie es ist identifiziert. Es gab Dir das Gefühl, jemand bestimmtes zu sein. Ob Du nun damit zufrieden warst oder nicht, spielt eine ganz andere Rolle. Doch das Leben so wie es war, hat Dich mitgerissen. In Frage hast Du es kaum gestellt, weil damit auch Schmerz verbunden sein konnte.

Mit dem Blick nach innen beginnst Du eine neue Welt zu entdecken. Das Herz will von Dir jegliche Identifikation lösen. Natürlich kommen da auch Ängste hoch. Du hast keine Ahnung, was dann kommt. Wer bist Du dann noch, wenn Du nicht mehr das bist, was Du jetzt glaubst zu sein. Das Korsett, das Dir Halt gibt, auch wenn Du Dich darin eingeengt fühlst, verleiht Dir ein Gefühl von Sicherheit. Auch wenn diese Sicherheit auf wackeligen Füßen steht und Du deshalb innerlich immer eine unterschwellige Unruhe spürst und Gedanken Dich hin und her bewegen, willst Du sie nicht verlieren.

Dein Herz weiß aber mehr über Dich als Dein Verstand. Es will Dir helfen, dass Du Dich Deiner bewusst wirst und führt Dich dafür auf den Erlösungsweg, auf dem Du frei wirst von jeglichen Pseudoängsten, die Dich in Sklaverei und Gefangenschaft halten. Ängste sind Fesseln und von genau diesen Fesseln wirst Du befreit.

Da kann auch Angst da sein, während der Prozess abläuft, solange der Verstand aktiv ist und dagegen rebelliert. Plötzlich wird alles mobil in Dir. Du wirst von Gedanken gejagt und verfolgt, die Dich nicht gehen lassen wollen. Es kann mit einem sehr mulmigen Gefühl verbunden sein. Es ist aber aus meiner Erfahrung alles zeitlich sehr begrenzt. Es ist immer eine Art Heilschub. Wenn Du in die Waschmaschine schmutzige Wäsche wäschst, ist diese auch irgendwann blitzsauber und die Waschmaschine steht wieder still und der Schrank füllt sich mit sauberer duftender Wäsche.

Ich kenne Situationen, wo mir von einem Moment zum anderen der Boden unter den Füßen regelrecht weggenommen ist und ich fast wie in ein Koma falle und nehme nur wahr, wie Müll über Müll über mich ausgeschüttet wird und ich brenne und brenne und dann, das kann nach ein paar Stunden sein, bin ich schlagartig wieder voll da und fit. Daher kommt auch mein Vergleich mit der Waschmaschine. Jeder hat natürlich seinen eigenen Weg und es muss schon gar nicht bei jedem mit bewusst erlebten tiefen Prozessen vonstatten gehen.

Es gibt da die unterschiedlichsten Erfahrungen von Menschen.

Doch eins ist klar, ich glaube nicht, dass jemand den Weg antritt und geht und erlebt keine Ängste. Das Ego ist das, was uns die Persönlichkeit gibt und die haben wir uns über lange Zeit aufgebaut. Sie ist das Haus, das wir uns gebaut haben. Sie ist uns vertraut und wir haben uns darin eingerichtet. Selbst, wenn wir darin nicht wirklich glücklich und zufrieden sind, so ist es doch das, womit wir uns identifizieren. Nun soll das alles aufgegeben werden für etwas, von dem man nicht weiß, was dann kommt?

Stell Dir vor, da sitzt jemand bereits 32 Jahre im Gefängnis. Es gibt dort sogar jede Menge Annehmlichkeiten. Er hat seinen Job. Er darf jeden Tag eine halbe Stunde auf den Hof, um die Sonne zu sehen und sich an frischer Luft bewegen. Er darf das zwar nur unter Aufsicht, aber er darf. Es gibt im Gefängnis auch Fernsehen und eine Bibliothek. Das Zimmer ist nun nicht der pure Luxus, aber an das Bett hat man sich gewöhnt und auch daran, dass es etwas karg ist. Essen steht jeden Tag auf dem Tisch und Freundschaften sind auch entstanden. Alles in allem, befindet er sich an einem sicheren Ort und er muss sich keine Gedanken um das Morgen machen. Es ist alles ganz klar. Der morgige Tag wird wie der heutige ablaufen. Da droht keine Kündigung vom Arbeitgeber. Die Behausung ist auch sicher und alles ist für ihn geregelt. Doch in ihm bohrt die Sehnsucht nach Freiheit und nach Entfaltung, denn egal wo wir sind, was wir haben, was wir tun, solange die Seele nicht befreit ist, sie vollumfänglich durch uns sich immer weiterentwickeln und entfalten kann, wird angeklopft und wir fühlen uns auch nie richtig wohl und zu Hause in unserer Haut. Unser wahres zu Hause erfahren wir nicht durch den Verstand, nicht durch ein prächtiges geschaffenes Heim, nicht durch unsere Arbeit. Doch durchaus können wir unser wahres zu Hause wahrnehmen, während wir arbeiten und etwas schaffen oder während wir in unserem geschaffenen Heim sind. Doch die wahre Heimat finden und erleben wir im Kontakt mit unserem Herzen, das uns unseren eigenen Wesen nahebringt. Was das Herz will, dem haben wir zu folgen. Es kennt den Weg.

Dieser Gefängnisinsasse fühlt plötzlich, dass er aus dem Gefängnis raus will. Er weiß weder wohin, noch wie er es anstellen soll. Doch die Energie ist da und hat sich zu seinem Bewusstsein durchgerungen. Nun beginnt er auch intuitive Botschaften aus seinem Inneren wahrzunehmen. Er spürt es innen, ohne es nun aus dem Herzen nennen zu wollen. Es fühlt sich warm, klar und eindeutig an und die Energie hat ihn bereits ergriffen. Der Verstand schweigt. Doch als er beginnt, zu handeln taucht der Verstand immer wieder auf. Er meldet sich mit Gedanken, Zweifeln und Ängsten. Der Fluchtplan steht fest und er weiß genau, wo es lang geht. Er kennt den nächsten Schritt und startet einen nach dem anderen in Richtung Freiheit. Doch der Weg scheint voller Gefahren zu sein. Ständig taucht in dem gegrabenen Tunnel ein neuer Widerstand auf, der ihn den Weg zu vereiteln scheint und er nicht weiter weiß. Wieder muss er anhalten und tief in sich fühlen und von Liebe und Vertrauen den Widerstand abbauen lassen. Manchmal springt er vielleicht auch vor Wut an die Decke oder schreit los, dass sein Brustkorb  und die Wände des Tunnels vibrieren. Er weiß, ein Zurück gibt es nicht mehr. Er fühlt sich von Wächtern des Gefängnisses verfolgt, doch die anfänglichen großen Ängste hat er nicht mehr. Er weiß inzwischen, die können ihn nicht einholen, solange er die Aufmerksamkeit auf seine innere Führung hält. Er spürt es einfach voller Klarheit. Sie sind unfähig, ihn zu erreichen, solange er ihnen nicht entgegen geht. Sein Herz hat ihn auf den Weg geschickt, weil es wusste, dass er es schaffen wird, dass er die Kraft und Fähigkeit dazu hat.

Er wird immer gelassener, auch wenn es immer wieder irgendwelche Hindernisse gibt, die er erst wegräumen muss, um weiter zu kommen. Er spürt, während er unterwegs ist, selbst wenn er nie irgendwo ankommt, dass es richtig ist, dass er losgegangen ist, aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Er fühlt sich wach, lebendig und viel freier, obwohl er noch im Tunnel ist und im Gefängnis mehr Platz war.

Auch sicher war er dort. Was konnte ihm dort schon passieren? Bis zu seinem Tod hätte er dieses Leben dort führen können. Aus dem Trott hätte ihn doch höchstens eine Krankheit reißen können, die überraschend in sein Leben hätte kommen können. Es wurde auf dem Weg in die Freiheit für ihn immer unwichtiger, wann und wo er ankommt und was ihn erwarten könnte.

Liebe Sonja, empfindest Du nicht auch schon ein bisschen so wie der Gefängnisinsasse? Du bist aufgebrochen und auch wenn Gedanken Dich noch verfolgen und Du auf Muster und Blockaden stößt auf Deinem Weg, fühlst Du, dass die Botschaften aus Deinem Herzen für Dich oberste Priorität haben und Du keinen Gott mehr neben Deinem innersten wahren Wesen zulässt und Du Dich dabei von Herzen gerne vom Herzen führen lässt.

Die Angst hältst Du einfach aus, wenn sie kommt und Deine Gefühle drückst Du für Dich aus. Alles darf sein, nichts drückst Du weg aus einer Wertung heraus. Es ist manchmal heftig, wenn Dein Verstand wieder etwas von seiner Macht verliert und er im Todeskampf ist. Den Verstand verlierst Du dabei nicht. Es ist nur seine Macht, die schwindet indem Du Deine Seele mehr und mehr zulässt und gleichzeitig lösen sich Mauern, die Dich umgeben hatten.

Wenn Mauern einstürzen, können Sie uns zum zittern und beben bringen, so dass wir für einen Moment von Angst und Panik ergriffen sein können. Doch dann tritt in uns jeweils wieder etwas Unbekanntes ein und wird uns bekannt und vertraut. Wir müssen nichts mehr hinter der Mauer Verborgenes fürchten. So weitet sich unsere Seele und bringt immer wieder neue Blüten mit ihren Düften hervor.

Das solls für heute gewesen sein.

 

 

 

Herzlichst

Malina

 

 

„Wenn du wirklich wissen willst,

was Wut ist,

lass dich darauf ein, meditiere darüber,

probiere sie auf verschiedene Arten aus,

lass sie in dir zu, lass dich davon umhüllen,

lass dir den Blick davon vernebeln,

spüre den ganzen Schmerz und die Qual,

und wie sie dich verletzt,

spüre das Gift der Wut, und wie die dich

herunterzieht, wie dein ganzes Dasein

zum dunklen Tal wird,

wie du durch sie zur Hölle gehst,

nach unten gezogen wirst.

Spüre sie; lerne sie kennen.

Und dieses Verstehen

ist der Beginn deiner Transformation.

Die Wahrheit zu kennen ist Transformation.

Wahrheit befreit -

aber es muss deine eigene Wahrheit sein.“

 

OSHO

"Emotionen"

Goldmann Verlag 

 

 

 

 

 

 

Hier geht es zum 10. Brief an Sonja: "Emotionen" 

 Hier geht es zum 12. Brief an Sonja: "Malecke" 

 

 

"Alle Ängste sind Nebenprodukte davon,

dass du dich zu sehr identifizierst." 

 

Osho

„Emotionen“

Goldmann Verlag

 

 "Die Anpassung und Unterordnung wird als eine Möglichkeit erlebt, Angst und Schmerzen zu mildern. Insofern dienen die Abwehrmechanismen der Angstbewältigung und auch gleichzeitig der Anpassung. Das Kind erlebt, wenn es sich anpasst, dass es dann leichter, bequemer und schmerzfrei sein Leben  bewältigt." S. 52

Peter Lauster 

" Lassen Sie der Seele Flügel wachsen "

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