Liebe ist Vergeben (17. Brief Sonja) 

 

 

Liebe Sonja,

 

Da hast Du ja Deinen Gefühlen freien Lauf gelassen. Du merkst, dass es anfängt zu sprudeln und es immer stärker fließt, wenn der Fluss erst einmal in Gang gekommen ist, Du die Erleichterung und Freiheit erfahren hast, wenn Du das ausdrückst, was in Dir ist. Schön, dass Dir auch das meditative Malen dabei hilft, weil Du dabei in eine tiefempfundene Freude und Entspannung kommst.

Nur in dem Moment, wenn wir über die Gefühle sprechen oder schreiben, sind es ja im Grunde schon wieder neue. Wie heißt es so schön: „Man steigt niemals in den gleichen Fluss.“ Wir selbst sind nie die, die wir gestern waren.

Danke für die Beschreibung Deiner heutigen Empfindungen zu Deinem Erlebnis mit Gerald und dem schmerzvollen Erlebnis zu Beginn Deiner Jugend. Du schreibst: „Aus Liebe habe ich meine Gefühle unterdrückt. Ihn wollte ihn nicht verletzen und dafür habe ich mich verletzt. Innerlich habe ich dann so manches Mal gekocht vor Wut, weil ich mich überhaupt nicht wahrgenommen und gesehen fühlte. Doch ich konnte mit dieser Wut einfach nicht umgehen. Sie war da. Ich habe sie gespürt und wollte sie am liebsten von mir stoßen, doch ich wusste nicht wohin. Ich hatte nur ein schlechtes Gewissen dafür, weil sie ja mit negativen Gedanken verbunden war, die dann immer einen Keil zwischen uns schoben. Ich wollte einfach diese Wand zwischen uns zerschmettern, doch es war unmöglich. Also gewöhnte ich mich irgendwie daran, obwohl ich schon spürte, dass das meine Lebensfreude einschränkte und meine Lebendigkeit. Es war dann eben immer sehr höflich zwischen uns, alles von Vorsicht geprägt.

Das war nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich mit meiner Wut nicht umgehen konnte. Wie Du weißt, bin ich als Jugendliche durch einen Unfall mit seinen Folgen lange ans Bett gekettet gewesen und ewig in ärztlicher Behandlung. Bis heute trage ich eine leichte Gehbehinderung davon. Ich war oft so wütend darüber. Ich empfand das so ungerecht. Warum ausgerechnet ich? Warum kommt dieses Auto gerade in dem Moment um die Kurve gefahren, als ich mit dem Fahrrad komme und warum konnte er nicht in seiner Spur bleiben? Warum musste es gerade regnen? Warum fährt er mich um? Dieser Moment hatte so viel mit mir gemacht. Ich bin heute zwar in Frieden damit und vor allem konnte ich diesen Frieden gerade die letzten Tage so deutlich in mir spüren, dass es mich nach all den Jahren zu Tränen rührte. Doch viele Jahre hat es mich gequält und beschäftigt. Ich hatte Wut, dass ich mich lange nicht mehr unbeschwert bewegen konnte. Ich habe mich daraufhin immer abgelehnt gefühlt und wenn zur Disco mich doch einer zum Tanzen holte, dachte ich immer, dass er das nur aus Mitleid tut und womöglich hat ihn noch eine Freundin dazu angestiftet. Heute fällt es kaum noch auf, wenn man mich laufen sieht. Doch als Jugendliche, die gerade begann oder beginnen wollte den Duft der Jugend zu schnuppern und sinh von diesem tragen zu lassen, hatte ich damit zu kämpfen. Am meisten nervten mich tröstende Sprüche. Das war echt ätzend aus damaliger Sicht. Selbst diese Wut habe ich runtergeschluckt. Ich wusste ja, dass die Tröster es gut meinten und einfach nur hilflos auf meine Situation reagiert haben. Wieso konnte ich nicht einfach sagen, dass ich keinen Trost will, weil es sowieso keiner ist, wenn man sich weder gesehen noch verstanden fühlt. Jeder will immer ach so höflich sein, obwohl ihm vielleicht einfach nur schlecht ist oder die Begegnung und der Besuch unangenehm. Das ihm schlecht ist, will er dann auch nicht zugeben und stattdessen wird Distanz geschafft, indem jeder dem anderen was vormacht und glaubt dabei noch, es wäre echt. Und weil ich meine Wut nicht rauslassen konnte, hat sich in mir richtig Hass gebildet. Er braute sich regelrecht zusammen. Oh, ich weiß, wie Hass sich anfühlt. Der hat mir schon Angst gemacht, obwohl der manchmal so stark war, dass er sogar die Angst weggedrückt hat. Die Angst davor kam meistens hinterher, wenn es mir wieder besser ging. Ich weiß nicht warum, aber zu der Zeit war ich auch nicht in der Lage, es ganz anders zu sehen und zu erleben. Schließlich hätte das Auto mich so erfassen können, dass ich tödlich verunglückt wäre oder schwerste Behinderungen davongetragen hätte. Wieso konnte ich mich nicht darüber freuen. Im Gegenteil, ich hatte Momente, da wünschte ich mir, ich sei lieber tot. Wieso konnte ich nicht dankbar sein, dass Freunde und Bekannte versuchten mich zu trösten, auch wenn ich mir was anderes gewünscht hätte von ihrem Verhalten her? Wieso habe ich mich so abgelehnt gefühlt? Ja, warum habe ich mich plötzlich so abgelehnt? .... Du hast mir geschrieben, dass es manchmal gut tut, nochmal zurück zu schauen und sich noch mal in bestimmte Situationen hinein zu begeben aus dem gewonnenen Abstand heraus. Das habe ich daraufhin mit dieser gemacht und darüber bin ich sehr froh. Ich konnte dadurch die Fragen plötzlich neu stellen und dadurch ist etwas mit mir passiert. Ich fühlte mich frei davon, Mitgefühl zu erwarten, doch empfand es für die sich hilflos anstellenden Freunde und Bekannten, die sich während dieser Zeit immer wieder um mein Bett herum einfanden. Der Autofahrer von damals war selbst traumatisiert. Später erfuhr ich, dass er nie wieder ein Auto selbst gefahren hat und sich immer mal wieder nach mir erkundigt hat. Wir sind uns aber nie begegnet. Komisch, ich würde jetzt am liebsten zu ihm gehen und ihm sagen, dass die Situation eben einfach so war wie sie war und ich ihm keinerlei Vorwürfe mehr mache und es mir leid tut, dass es damals überhaupt zu dieser Anzeige kam. Doch es entsprang einfach meiner Verzweiflung darüber, dass ich mein Leben so zerstört fand. Es war, wenn ich heute darüber nachsinne, ein emotionales um mich schlagen und habe mir selbst damit am meisten weh getan. Schulisch bedeutete das damals auch für mich den Einbruch. Ich hatte keine Lust mehr, fand alles sinnlos.

Mit negativen, schmerzenden Gefühlen umzugehen ist halt nicht so einfach. Sie tauchen auf und man weiß nicht, wie man sie richtig behandelt.

Sie rauszulassen war mir kaum möglich, weil ja Angst da war gleich als gesamter Mensch dann so, also negativ bewertet zu werden und dass dadurch irgendwelche Verluste drohen könnten.

Wut wird ja von vielen weggeschoben. Das denke ich jedenfalls. Wir haben ja meist alle vordergründig eine gute Erziehung genossen. Doch dann wird sie womöglich da rausgelassen, wo sich am Ende noch stark damit gefühlt wird, doch völlig ungerechtfertigt ist. Ich meine an Unschuldige, die gar nichts dafür können. Meine kleine Schwester hat manchmal was von meiner Wut abbekommen, obwohl sie gar nichts dafür konnte, dass ich so drauf war.

Wenn mir hätte jemand klar machen können, warum ich wirklich wütend bin und vor allem auf was, dann hätte sich das für mich nicht so lange so dramatisch hinziehen müssen. Wenn ein Tier von einem Auto angefahren wird, das fängt nicht an mit hassen und fühlt sich nicht verzweifelt. Doch für einen Menschen kann die ganze Welt zusammenbrechen, wenn ein unverhofftes negatives Schicksal einen trifft, bei dem es vermeintlich Schuldige gibt, kann eben besonders viel Wut und Hass dazukommen.“

Liebe Sonja, ja Tiere haben diese Probleme nicht. Sie legen sich im Kopf keine Welt zurecht, die dann zerstört werden kann. Sie leben nicht in der Zukunft und haben dadurch auch keine Erwartungen an sie. Sie schmieden keine Pläne und leben ohne Hoffnung.

Du hast zurückgeschaut, Sonja, und die Fragen neu formuliert. Weil Du inzwischen neu bist, konntest Du das tun. Dabei konnte Verdrängtes endlich erlöst werden und Du selbst freier. Die Fragen hast Du jetzt auf Dich bezogen, bist tiefer gegangen, ohne Dich dabei als Opfer oder als Täter für irgendwas zu sehen. Damals sahst Du Dich nur als Opfer. Als Opfer stecken wir im Leid fest und als Täter gleichermaßen. Du schreibst ja, dass der Fahrer des Autos sich nie wieder ans Steuer setzte. Es ist ein Akt der Selbstbestrafung und ein Zeichen von Angst. Dazu will er damit Reue zeigen und dass er kein rücksichtsloser Autofahrer war, sondern auch für ihn war das ein großes Unglück.

Er hat sich nicht verzeihen können, das was passiert ist und keinen Weg gesehen, damit in Frieden zu kommen.

So wie Du aus der Opferrolle ausgestiegen bist und inzwischen voller Mitgefühl mit dem Autofahrer, gleichermaßen müsste er seine Täterrolle verlassen und sich auch die Fragen neu stellen, um endlich wieder Frieden zu finden, die Schuld loslassen zu können. Er könnte sich fragen, warum er sich so schuldig fühlt. Er hatte keinerlei Absicht, Dir Schaden zuzufügen. Warum will er ewig darunter leiden und sich bestrafen, denn er kann die Situation nicht rückgängig machen und sein Täterverhalten hat nichts mit Liebe zu tun. Im Grunde ist das nur ein Schlüpfen wollen in eine Opferrolle, um die Last der Verantwortung nicht spüren zu müssen, sich dem nicht stellen zu müssen. Er selbst muss sich freisprechen, denn erst dann kann er sich wieder erhobenen Hauptes ans Steuer setzen und ein Leben führen, dass frei von dieser alten Last ist, durch die sich bei ihm eine starke Blockade gebildet hat. Es geht nicht darum, dass er nun unbedingt wieder Auto fahren soll, doch das Motiv seines Nichtfahrens das sollte erlöst werden.

Er sollte es möglichst in diesem Leben noch tun, wenn es ihm noch möglich ist, denn im nächsten könnte es noch komplizierter werden. Je weiter etwas zurück liegt, desto schwieriger wird es. Vielleicht will er im nächsten Leben gar keinen Führerschein machen und er weiß nicht recht warum. Vielleicht setzt er sich aufs Fahrrad und fährt versehentlich in ein Auto, um endlich das auf sich zu nehmen, wofür er noch immer Schuldgefühle in sich trägt.

Beide habt ihr lange gelitten. Es ist genug. Du bist ausgestiegen. Wie es ihm wirklich geht, wissen wir nicht. Vielleicht hat er inzwischen genau wie Du einen Weg gefunden, sich von diesem Trauma zu erlösen. Wir können immer nur wieder vertrauen, dass sich alles zum Besten fügt für jeden. Ich habe Dir geschrieben, dass im Kosmos alles aus Schwingung und Energie besteht. Das heißt, wenn Du in der Schwingung von Liebe bist, dass werden Deine Liebesschwingungen vielleicht auch ihn erreichen, wenn Du an ihn denkst und sein Herz nimmt diese auf, wodurch sich dieses wieder ein Spalt öffnen kann und Heilung für ihn geschehen kann.

Vielleicht fühlst Du auch, ihm mal zu schreiben. Doch tu es nur, wenn Du es vom Herzen fühlst, nur dann ist es richtig. Ansonsten misch Dich nicht ein. Sein Herz wird ihm nicht in Stich lassen und sicher auch da immer wieder anklopfen, damit er offenen Herzens und unschuldig dem Leben begegnen kann und vielleicht auch mal Dir. 

 

Herzliche Grüße

Malina

 

 

 

 "Selbstliebe ist das wichtigste Geschenk,

 das wir uns machen können,

 denn wenn wir uns lieben,

 werden wir uns selbst nicht verletzen,

und auch keinen anderen Menschen."S.14

 

 

Louise L. Hay

„Wahre Kraft kommt von innen“

Allegria Verlag

 

 

 

Hier geht es zum 16. Brief an Sonja: "Ehrgeiz und Gewalt" 

 Hier geht es zum 18. Brief an Sonja: "Sehen und gesehen werden" 

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