Sehen und gesehen werden (18. Brief Sonja)
Liebe Sonja,
auf etwas aus Deinem letzten Brief möchte ich hier gesondert eingehen. Was bei Dir in Deinem Leben des Öfteren Wut auslöste, war der Umstand, dass Du Dich überhaupt nicht gesehen und wahrgenommen gefühlt hast. Das Phänomen kenne ich von sehr vielen Leuten, mit denen ich im Laufe meines Lebens zu tun hatte und ich glaube, dass jeder im Laufe seines Lebens, seiner Entwicklung diese Gefühle erlebt. Besonders auffällig ist, wenn Paare sich trennen, dass jeder denkt, es wäre immer nur um den anderen gegangen. So wächst Enttäuschung besonders bei Partnerschaften, weil man selbst glaubt, den anderen so gut zu kennen und ihn sehr wohl wahrzunehmen mitsamt seinen Bedürfnissen und Befindlichkeiten Doch allgemein wird das auch erlebt durch viele andere Beziehungen. Viele haben auch das Gefühl, dass in der Kindheit ein Geschwisterkind mehr wahrgenommen wurde als man selbst und es bevorzugt behandelt wurde, woraus Eifersucht und Neid, was natürlich mit Wut verbunden ist, erwachsen. Natürlich ist auch die Liebe füreinander da. Es sind ja auch nicht immer durchgängig erlebte Phänomene. Emotionen kommen und gehen. Woher kommt das nun? Warum werden wir nicht gesehen und wahrgenommen, so wie wir es vielleicht gerne hätten? Es ist im Grunde ganz einfach, zu beantworten. Im Denken eine Übereinstimmung mit jemandem und dann noch vielleicht im selben Augenblick zu erzielen, ist so gut wie unmöglich. Die Menschen sind doch ständig in irgendwelchen Gedanken. Der eine ist mit seinen Gedanken hier und der andere ist dort. Der Mensch lebt doch die meiste Zeit selbst verlassen von seinem eigenen Wesen. Er ist praktisch nicht zu Hause, sondern immer suchend unterwegs. Da kann keine Begegnung stattfinden und wo keine Begegnung stattfindet, ist auch keine Wahrnehmung. Gesehen fühlt man sich aber nur, wenn man wahrgenommen wird und wirklich sehen kann man auch nur, wenn man wahrnimmt. Doch das funktioniert nur im gedankenfreien Zustand. Ein unermesslich tiefes Empfinden von Wahrnehmung erlebte ich z. B. bei einem Besuch eines kosmischen Meisters. Als ich vor ihm stand und er mich ansah, erlebte ich mich, was nichts mit Bildern oder Erlebnissen zu tun hat. Es war einfach ein Zustand von Einheit und absoluter Liebe. Das hat nichts mit Verliebtheit zu tun. Liebe ist nichts Persönliches. Daran erkannte ich, dass das Bedürfnis wahrgenommen zu werden aus unserer Sehnsucht, uns selbst zu erkennen entspringt. Kosmische Meister können dabei sehr hilfreich sein, denn sie schauen nicht auf Deine Muster und Blockaden, auf all die Schichten, die Dein wahres Wesen überlagern, nicht auf die Persönlichkeit. Sie sind einfach lebende Lichtstrahlen, die direkt in Dein Herz strahlen und helfen, den Raum für Dich zum Strahlen zu bringen, worin Du Dich erkennen kannst. Nichts steht dem mehr im Weg. Der Meister ist folglich in dem Augenblick, wo Du Dich selbst erkennst verschwunden. Er ist eine Brücke, die manchmal ganz gut ist, um zum eigenen Meister in uns zu finden. Er hat einfach die Resonanz zum Meister, zur Meisterschwingung und damit wirkt er als eine Art Transformator. Alles Wesentliche läuft nur von Herz zu Herz ab. Ich hatte dort den ganzen Tag das Gefühl, es war ein ganz intensiver Austausch zwischen uns. Ich hörte direkt klar in mein Herz hinein seine Stimme. Es war tief berührend. Interessant war dann, dass am zweiten Tag des Darshans er gesprochen hat, den ganzen Tag. Am Ende des Tages sagte ich zu meinem Begleiter, dass ich ihn gestern besser verstanden habe als heute. Daraufhin sagte er: „Er hat doch gestern gar nicht gesprochen.“ Im ersten Moment war ich fast leicht erschrocken. Es war mir gar nicht so bewusst, weil einfach so viel in mir in dieser Stille geschah. Es war alles viel intensiver, direkter und klarer. Durch unsere Muster und Blockaden, die sich im Laufe des Lebens entwickelt haben, sind wir kaum noch in der Lage uns selbst wahrzunehmen, uns selbst zu sehen. Alles ist überlagert von Vorstellungen, Wünschen, Erwartungen, Bildern aus der Vergangenheit, ja und natürlich Erfahrungen und den damit verbundenen Gedanken und hinter diesem Geschütz lauert nun unser wahres Wesen und will erkannt und befreit werden. Da lauert die Zufriedenheit und die Freiheit von Belastungen, Problemen und Gedankenspielen. Da lauert ein Leben, das so mit dem Augenblick verbunden ist, dass es nichts mehr vom anderen will und braucht. Die Trennung ist aufgehoben. Es entsteht ein natürliches hin und her fließen, ein natürlicher ungezwungene Austausch. Geben und Nehmen sind eins. Alles dient dem Höchsten. Hier im Inneren lauert die Erkenntnis, welch Wahnsinn es ist, zu erwarten, dass zwei unterschiedliche Noten, denselben Ton hervorbringen können oder einfach einen Ton, den wir gerne hätten. Zwei Noten können nur, wenn sie zusammen gespielt werden einen neuen, einen dritten Ton hervorbringen. Damit es ein harmonischer Ton ist, müssen die zwei Noten zusammen spielen. Obwohl es manchmal auch erstaunlich ist, was für zwei schräge Töne zusammen für einen wunderbaren dritten Ton hervorbringen. Alles im Universum ist halt möglich. Geh mal tief in Dich und meditiere darüber, was Du konkret an Dir wahrgenommen haben wolltest oder möchtest und wie Du gesehen werden möchtest und was möchtest Du an Dir gesehen haben. Auch dahingehend hatte ich mal ein Erlebnis. Also, ich habe das vor vielen Jahren mal ganz bewusst gemacht. Weißt Du, was dabei herausgekommen ist? Ich habe gelacht. Nun aus Deiner eigenen Stimmigkeit und Offenheit heraus, kannst Du das in Dein Leben ziehen, wo Du diesen harmonischen Gleichklang empfinden wirst. Es entsteht durch die Berührung von zwei Herzen, die füreinander offen sind. Doch in der Gegenwart von jemandem, wo Du Dich selbst nicht völlig stimmig fühlst, wird Dein Herz entsprechend reagieren und sich vielleicht zurückziehen wollen. Es reagiert vielleicht so, weil es Dich in eine andere Richtung lenken will, jedenfalls Deine Aufmerksamkeit. Das Höhere weiß immer um das Wesentliche, was das Für Unbekannte einschließt. Der Verstand weiß nur über das Bekannte Bescheid. Ja, vielleicht willst Du auch bei Dir selbst etwas nicht sehen und verschließt Dich dadurch vor dem anderen. Da wo wir uns selbst verschließen, können wir auch nicht gesehen werden. Hinter dem Bedürfnis gesehen und verstanden zu werden, versteckt sich doch nichts weiter als sich vom anderen geliebt zu fühlen. Im Gefühl der Liebe verschwinden alle Bedürfnisse. Alles ist in dem Moment erfüllt. Jegliche Trennung ist aufgehoben. Wenn zwei Menschen sich in ihrem Wesen begegnen, was soll da auch noch gesehen werden wollen. Was soll da noch zu wünschen übrigbleiben. Nichts. Ein anderer kann Dir immer nur helfen, Dich selbst besser zu sehen, indem Du erkennst, wo die Verbindung zu Dir selbst fehlt, wo Du vielleicht selbst mit Dir liebevoller und aufmerksamer umgehen solltest. Da, wo er Kontakt zu Dir selbst fehlt, wandert die Aufmerksamkeit nach außen und der Kontakt wird außen gesucht. Liebe Sonja, wenn Du bei Dir bist, mit Dir selbst, Deinem Herzen verbunden, nimmst Du den anderen wahr, Du siehst ihn ganz. Du siehst ihn ganz, wenn Du ganz bei Dir bist. Damit fallen alle Erwartungen an den anderen Weg und Du erlebst Dich im Mitgefühl. Du bringst natürlich dann auch keine Opfer mehr in dem Sinne, etwas zu tun, was das Ego des anderen bedient. Es ist nicht wichtig, ob er mit Deinen Handlungen einverstanden ist oder nicht. Du weißt aber um seine Seele und das ist viel, viel tiefer als das, was sich äußerlich gebärdet. Du würdest trotz empfundener Liebe für den anderen nicht in einer Beziehung bleiben, die Dein Herz nicht will. Du würdest für nichts Deinem Herzen untreu werden, auch wenn es der Verstand immer wieder versuchen wird, solange da noch Blockaden und Muster lauern, derer er sich bedient. Wenn Du die innere Stimme bewusst erlebst, diese immense Kraft und Liebe in Dir, wirst Du auch sehr konsequent und kompromisslos handeln. Abwägen tut immer nur der Verstand durch Vergleiche und am Ende ist es doch nicht optimal und das Beste. Das Herz ist immer auf den gegenwärtigen Augenblick ausgerichtet und da gibt es kein so oder so, sondern nur ein so und nicht anders. Es ist immer der augenblicklichen Situation zurechtgeschnitten. Einen Tag später z. B. handelst Du vielleicht komplett entgegengesetzt und mancher denkt, die weiß nicht, was sie will. Doch es ist, was der andere vielleicht vom Verstand nicht sieht und Du selbst vielleicht nicht, aber für das Herz eine komplett andere Situation. Schließlich ist ein ganzer Tag vergangen und der Fluss blieb nicht stehen. Es gibt keinen Stillstand. Nur mit dem Denken versuchen wir festzuhalten und Logik in allem zu finden. Wenn Du den Herzensweg gehst, merkst Du das erste Mal, wie hilflos der Verstand eigentlich ist. Die Kraft, die agiert, wenn es nicht das Herz ist, kommt aus Mustern und Blockaden, aus Konditionierungen und Prägungen, es kommt aus dem Intellekt. Das ist das, was dem Verstand praktisch Motivation verleiht. Ansonsten ist er einfach ein Speicher von Wissen. Je mehr Blockaden und Muster wir haben, desto größer das Chaos darin und die Verwirrtheit die davon ausgeht. Wenn Du wahrlich in Dir ruhend bist, kann die unermessliche Kraft des Herzens sich dessen bedienen und dadurch entsteht immer mehr Ordnung und Harmonie und echtes Miteinander, das ohne Tricks und Manipulation wirkt. Ansonsten will der Verstand immer manipulieren. Aus Manipulation geht Manipulation hervor. Es kann sich keiner richtig sehen, solange er fern jeglicher Selbsterkenntnis dahinlebt. Wenn Du Glück hast, treffen sich gleiche Interessen, gleiche Vorstellungen vom Leben und vielleicht mögt ihr beide indisch essen und Urlaub am Meer. Doch das hat nichts damit zu tun, sich gesehen zu fühlen und sich miteinander vom Herzen verbunden zu fühlen. Wahre Liebe ist aber die Verbundenheit im Herzen zu fühlen in erster Linie. Wenn die da ist, wirst Du selbst in der Partnerschaft auch grundsätzlich authentisch sein und Deine Herzenswünsche achten. Warum? Es ist keine Verlustangst da. Wenn Du was verlierst, dann deshalb, weil das Herz es so will und es eure Seelen so wollen. Der Kopf hält manchmal noch lange an etwas fest, wo die Seelen sich längst voneinander gelöst haben, um für neue Erfahrungen frei zu sein. Trotzdem werden sie auf einer gewissen Ebene in Liebe verbunden bleiben, auch wenn sie die Trennung auf der irdischen Ebene wollen. Das hat nichts mit Rücksichtslosigkeit zu tun, auch wenn Dein Handeln für den Moment beim anderen vielleicht Schmerz hervorruft. Doch wenn es aus dem Herzen kommt, ist es immer auch ein Herzenswunsch beider Seelen. Es gehört eine gewisse Größe, eine Herzensverbindung dazu, um die Größe eines andern zu sehen, ihn in seiner Größe und Schönheit zu sehen. Wo immer Dein Herz Dich hintragen will, geh. Du lässt dabei nie und nimmer jemanden im Stich. Im Gegenteil, nur so kann auch der andere, seinen Weg gehen. Wenn Du nicht folgst, lässt Du Dich im Stich. Es ist auch der einzige Weg, sämtliche Schuldgefühle und Zweifel wirklich tiefgründig hinter Dir zu lassen. Ansonsten werden diese immer wieder gebrütet. Es ist unweigerlich so, weil alles, was aus dem Verstand und damit aus dem Intellekt kommt, die immer mitliefert. Brauchst Du nicht mal extra bestellen. Die werden gratis mitgeliefert.
Das wars für heute, liebe Sonja. Herzlichst Malina
"Viele Menschen, mit denen Sie zu tun haben, sind auf seelischer Ebene jünger als Sie und können deshalb nicht immer gütig und liebevoll sein, selbst wenn Sie es gern möchten. Sie müssen aufhören, auf die Lieblosigkeit, Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit anderer Menschen negativ zu reagieren. Wenn Sie sich dadurch verletzen lassen, bringt Sie das nur aus Ihrer ruhigen, klaren Mitte. Senden Sie all diesen Menschen Vergebung und seien Sie gütig und liebevoll zu ihnen, ganz unabhängig davon, wie Sie sich verhalten. Und lieben Sie sich selbst, auch wenn Ihre Reaktion nicht so völlig von allen bösen Empfindungen frei ist, wie Sie es sich wünschen mögen. "S. 128
Sanaya Roman "Zum höheren Selbst erwachen " Ansata Verlag
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L "Man kann eine Täuschung nicht ausradieren. Man kann nur die Täuschung selbst begreifen und durchschauen." Ken Wilber "Wege zum Selbst" Goldmann Verlag "Es ist ein fundamentales Gesetz des Lebens, dass die Liebe dich immer tiefer in Unzufriedenheit stürzt. Letztendlich macht dich die Liebe so unzufrieden, dass du anfängst, dich nach dem höchsten Geliebten zu sehnen nach Gott. - und dich auf die Suche machst nach der höchsten Liebe." S. 72 OSHO "Authentisch sein" Innenwelt Verlag
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