Vertrauen und Urvertrauen (8. Brief an Marie) 

 

Liebe Marie,

 

also weiter mit dem Thema Vertrauen. 

Du fragst, woher kommen nur diese komischen Pseudoängste, denn man kann ja nicht alles auf den Verstand schieben. Schließlich soll er ja so eine Art Roboter sein und den muss man logischerweise zuvor programmieren, wozu es einer bestimmten Software bedarf. Also, woher kommt das, was mein Vertrauen zerstört hat und nicht nur meins. Wieso werden Menschen von Minderwertigkeitskomplexen gejagt? Sogar Leute sind davon betroffen, die hervorragende Leistungen für die Menschen geliefert haben und nicht nur in Wissenschaft, Architektur, Kunst, nein sogar studierte Philosophen und Therapeuten werden doch davon verfolgt, die  versuchen anderen zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen oder ihnen begreiflich machen, wie die Welt funktioniert , wenn sie sich völlig zerstört  und unwissend gefühlt haben.

Liebe Marie, oft sind es Schuldgefühle, 

Minderwertigkeitsgefühle und Gefühle der Bedrohung mit denen sich Menschen ein Gefängnis bauen, die das Leben in einem zu ersticken drohen. Schuldgefühle, ob die Bewussten oder unbewussten sind wie Zaunlatten. Mit jedem neuen wird der Zaun größer und die Unsicherheit dem Leben gegenüber verstärkt sich. Es ist ein Zaun, der einem vom Urvertrauen abschneidet und einen verstärkt Vertrauen im Verstand zu suchen führt. Damit wächst die Angst und parallel die Gewaltbereitschaft. Unterschwellig befindet sich so der Mensch in einer ständigen Kampf- und Verteidigungsbereitschaft, was natürlich nicht nur Auswirkungen auf die psychische, sondern auch auf die physische Gesundheit hat.

Gerade unsere ersten Erfahrungen nach der Geburt mit unserer Umwelt, mit den Menschen, die uns umgeben, tragen wesentlich dazu bei, ob wir uns mehr ängstlich oder zuversichtlich, mehr offenen Herzen oder mehr mit geschlossenen Herzen dem Leben zuwenden. 

Ein Kind in seinem Dasein entwickelt und reift spielerisch, wenn es das entsprechende Umfeld hat und die Nahrung, die es zum Gedeihen braucht. Doch es ist natürlich umgeben von Erziehern mit ihren eigenen Geschichten. Ohne andere Menschen, die es fürsorglich hegen, kann ein Kind nicht überleben. Doch diese Menschen sind geprägt von Geschichten. So ist das Kind  umgeben von Menschen, die glauben, alles besser zu wissen, die im Grunde meist auch das Beste für das Kind wollen. Das Kind wird erzogen, es wird ermahnt. In der Schule beginnt dann der Leistungswettbewerb. Es bekommt Vorgaben, die es zu erfüllen hat und an dessen Ergebnissen es gemessen wird. Es wird nicht mehr gefragt nach eigenen Interessen und Bedürfnissen und auch der individuelle Entwicklungsstand wird nicht beachtet. Es ist schon zu einem Ding gemacht, dass so und nicht anders zu funktionieren hat. Wenn es die Vorgaben nicht erfüllt, wie das Kind zwei Schulbänke weiter vorne, bekommt es eine schlechtere Note. Vom Lehrer wird es vielleicht dazu ermahnt, besser zu lernen. Es beginnt zu erfahren, was wichtig und was nicht wichtig ist. Es erfährt, dass die Leistung, die es vollbringt wichtig ist und nicht das, was es ist. 

Es dauert unter Umständen nicht lange und das Kind entwickelt Minderwertigkeitskomplexe, verbunden mit Angst und Unsicherheit. Bis vor sechs Wochen hatte es noch jeden Tag draußen spielen dürfen, sich Bücher anschauen können, wie sie ihm gefielen und durfte sich mit dem beschäftigen, wozu es Lust hatte. Während dieser Zeit hat es sehr viel gelernt und das durch Neugierde und mit Freude. Nun war alles anders. 

Jetzt ist es nicht mehr ganz richtig. Was soll es tun? Es kann sich nur schuldig und minderwertig fühlen. Von nun an wird es trotz aller Anstrengungen, die von außen auf es einwirken, sich zu einem gebildeten, sozial angepassten Menschen zu entwickeln, in seiner spontanen Entwicklung und gesunden Reifung gehemmt. Das Vertrauen zur Innen- wie zur Außenwelt ist gestört. Vielleicht ist jetzt die Pflanze noch sehr klein, vielleicht? 

Das Urvertrauen von dem im Grunde das gesamte Leben durchdrungen ist, wird durch die Einschaltung des Verstandes gebremst und gestoppt. Ein Weg sich zu schützen wird gesucht. Es wird dem  Vertrauen zu sich selbst und dem Leben ein Riegel vorgeschoben, damit der Mensch kontrollierbar und abhängig wird. 

Vielleicht wurde das Kind bis dahin sogar schon ausgelacht wegen einer falschen Antwort. Kinder übenehmen sehr schnell die Verhaltensweisen der Erwachsenen und somit auch deren Gehässigkeiten. Es kommt sehr früh zum gezielten Konkurrenzkampf zwischen Kindern. Es führt dazu, dass sie sich gegenseitig nach unten drücken, um Überlegenheit zu spüren und nicht mehr die eigenen Minderwertigkeitsgefühle. Es kommt sukzessive zur Zerstörung des Urvertrauens. Sowas geht unmerklich und schleichend vonstatten. 

Es hat bestimmt jeder schon mal erlebt, dass er irgendetwas gesagt oder getan hat, was im Grunde sehr simpel und einfach ist. Es hätte richtig gesagt oder getan werden können, doch aus irgendeinem Grund war es eben anders und nicht richtig. Der andere oder die anderen haben es sofort als Gelegenheit erkannt, den anderen dafür lächerlich zu machen oder dumm hinzustellen im Genuss ihres scheinbaren Überlegenheitsgefühls. Ja, Marie, vielleicht wurdest Du auch schon mal höhnisch korrigiert oder ausgelacht. Ich kenne das auf jeden Fall. 

Ja, je nach momentanen Empfinden oder Zustand, besonders, wenn man gerade in einem tiefvertraulichen Zustand und in Freude ist, kann sowas kleine Schocks auslösen. Man wird schlagartig aus einer Welt des Wohlbefindens und Vertrauens rausgerissen durch einen Hammerschlag ins Gesicht. Diese kleinen Schocks hagelt es auf die Menschen ununterbrochen. Es ist zu einem gesellschschaftstypischen Muster geworden. 

Natürlich sind solche Korrekturen, weil man was falsch oder nicht im Sinne des anderen gemacht hat, nicht gleich in jedem Fall mit Verhöhung, Maßregelung, Verspottung und Überlegenheitsgehabe verbunden. Nein, es passiert auch in liebevoller Form. Trotzdem fühlt man sich doch erstmal falsch. Es ist nicht immer die Absicht damit verbunden, dass der andere sich schlecht fühlen soll.

Es geht meist einfach darum, Menschen zu angepassten, sich unter- und einordnenden Wesen zu erziehen.  Sie sollen zurecht kommen in dieser Welt so wie sie ist. Es ist oft die eigene Angst, die auch Erzieher dazu führt, dass Kinder sich ängstlich entwickeln oder dann ins Gegenteil schlagen, sie sich gegen alles auflehnen.

Der Mensch soll zu einem Etwas erzogen werden, dem gegenüber man sich überlegen fühlen kann und der keine Bedrohung für die eigene Welt darstellt.

Da das nun fast alle so erleben und sehen und deshalb selbst zu solchen  Menschen werden, wie die von denen sie geprägt worden, nimmt die Entfremdung von sich selbst ihren Lauf.

Menschen entwickeln sich so zu Wächtern über sich selbst und anderen. Sie sind damit beschäftigt, sich über den Verstand zu kontrollieren, damit das Ding zu dem sie sich gemacht haben, so wenig Verletzungen und Irritationen wie möglich erleiden muss. Das Herz hat sich auf dem Weg zunehmend verschlossen. 

Ängstliche Einschüchterungsmanöver laufen ständig zwischen den Menschen ab und vor allen Dingen von der Gesellschaft werden sie geschürt und gefördert. 

Der Mensch soll sich schuldig fühlen, wenn er gegen Regeln und Normen verstößt. Nach gewisser Zeit steckt er so in den Programmen drinnen und ist damit identifiziert, dass er sich schuldig fühlt, wo gar keine Schuld ist, es keinen Grund dafür gibt.

Geh mal durch einen Supermarkt und beobachte manche Eltern mit ihren kleinen Kindern, die alles anfassen. Statt das Kind dann ständig zu maßregeln und mit ihm zu schimpfen, wäre es doch besser, man setzt es in den Korb von wo aus es alles betrachten kann. Einem Kind etwas erklären, was es noch nicht verstehen kann, macht keinen Sinn. Sicher ist das für Eltern nicht ganz einfach und ich weiß selbst wie viele „Fehler“ ich gemacht habe. Heute erlebte ich, wie eine Mutter ständig zu ihrem Kind sagte, dass es Abstand halten soll. (Wegen Corona). Das Kind schaute die Mutter trotz erhaltener Antwort fragend an. 

Etwas später stand ich vor einem Regal und wollte einen veganen Joghurt mir entnehmen. Vor mir ca. 1 m entfernt stand ein älterer Herr vor dem Regel, von dem er die Tür bereits geöffnet hatte, um sich am Joghurt zu bedienen. Er packte einen Joghurt und dann noch einen und noch einen usw. in den Korb. Ich schaute ihm geduldig und beobachtend zu. Ich hatte ja Zeit. Ich glaube, er prüfte bei jedem Joghurt das Verfalls datum. Warum sonst sollte er sich jeden Joghurt so genau angeschaut haben? Die Joghurts waren alle gleich. Es war alles Ziegenjoghurt, natur. Als er dann so den ca. 15 Joghurt in seinem Korb hatte, schloss ich aus seinem Verhalten, dass er genug hatte und das Einpacken von Joghurts in seinen Korb nun beendet sei. Ich wollte nicht gleich vor schreiten , damit er sich nicht bedrängt fühlt und denkt, er müsste sich beeilen. So wendete ich mich ihm zu und fragte: „Fertig?“ Er sagte „Ja“ und lächelte. Dann erhob er noch den Zeigefinger und sagte zu mir: „Das ist aber kein Hamsterkauf.“ Frage. Wieso hat der Mann sich mir gegenüber gerechtfertigt, indem er mir mitteilt, dass sein Einkauf kein Hamstereinkauf ist. Ich denke, diese Frage muss ich hier nicht beantworten. Das kann sich aufgrund dessen, da Corona unterwegs ist und dem, was damit verbunden ist in allen Köpfen herrscht, jeder selber denken.

Das natürliche, spontane Leben, wie es zum Menschen gehört, scheint in einer Zwangsjacke eingesperrt zu sein. 

Glücklicherweise lässt uns das in uns verankerte Urvertrauen  nie wirklich im Stich. Es ist da. Es rührt sich immer wieder in uns und dringt in unser Bewusstsein vor und will uns helfen, aus dem Dilemma zu kommen. 

Die Zeit der Pubertät ist eine deutliche Phase, wo Jugendliche versuchen auszubrechen aus dem Schematismus in den sie gepresst worden und sich fühlen. 

Je schwerer das Trauma liegt, desto gravierender läuft diese Phase ab. Sie wollen sich selbst finden, entdecken, eigene Wege gehen. Sie fühlen sich stark und unsterblich. Bei manchen Jugendlichen läuft die Phase so schwer ab, dass sie praktisch wie von einer Rückvergiftung ergriffen werden, damit überflutet und gänzlich den Halt verlieren und in Drogen und Missbrauchsgeschichten geraten.

Die Pubertät wäre eine gute Zeit, um sich wahrhaft wieder auf das eigene Urvertrauen zu besinnen und sich davon leiten zu lassen, um im Leben einen Platz zu finden, der zur Entfaltung der Seele, zur Entfaltung des angelegten Potenzials dienen könnte.

Doch leider ist es anders. Sie werden in vorgefertigte Schablonen gepresst, worin sie ihre Rolle finden sollen und für sich daraus das Beste machen.

Liebe Marie, das Urvertrauen wird Dich nie verlassen. Wir sind es, die sich davon abwenden, wenn auch ohne Schuld, aus dem Geschehen und Erleben heraus. Wir sind es, die sich dem wieder anschließen können. Je mehr wir uns vom Diktat durch den Verstand und unseren Mustern lösen, desto besser werden wir die Verbindung wieder fühlen. Je mehr wir das Leben so akzeptieren wie es ist ohne Projektion und Identifikation, desto stärker erleben wir unser Urvertrauen. 

Wenn die Schuld endet, stellt sich das Vertrauen wieder ein und Heilung findet statt und Körper, Geist und Seele kommen in Harmonie und Einklang.

 

Von Herzen

Malina 

 

 

 

                                                 

"Das Ganze zu erkennen,

bedeutet, dem Schicksal

eines Teils zu entgehen,

das nur Leiden,

Schmerz und Tod ist." S. 77

 

Ken Wilber

aus

"Wege zum Selbst"

 

 

sj

 

 

 Hier geht es zum 7. Brief an Marie: "Vertrauen und Verstand"

 Hier geht es zum 9.Brief: "Welch ein Glück" 

 

 

 "Man kann das Denken benutzen, aber man kann es auch beiseite legen."

OSHO aus

"" Liebe, Freiheit, Alleinsein "

Goldmann Verlag  

"Liebe gibt euch Flügel, damit ihr euch hoch empor schwingen könnt. Liebe gibt euch Einsicht in die Dinge und dann kann euch niemand mehr täuschen, ausbeuten und unterdrücken."

Osho

aus

"Liebe, Freiheit, Alleinsein "

"weil der Mensch sich für frei hält, nicht aber weil er frei ist, empfindet er Reue und Gewissensbisse" 

Friedrich Nietzsche   

"Der Mensch, der erwartungslos lebt, ist frei von Furcht, dem öffnen sich himmlische Tore. Sternenweiten werden offenbar, wenn sie die befreite Seele in die große kosmische Ordnung der Sterne einfügt." S. 36

Mario Mantese