Offenheit (7. Brief an Oskar) 

 

 

Lieber Oskar,

 

deinen letzten Brief habe ich mit Genuss gelesen.

Du schreibst: „Ich bin heute Vormittag während ich mir das Frühstück zubereitet habe plötzlich wie von einer Welle ergriffen worden. Ich weiß nicht, ob diese nun von innen kam oder von außen. Es ging so schnell, dass ich das nicht unterscheiden konnte. Doch ich stand dann so gerührt in meiner Küche, dass mir die Tränen kamen und soll ich Dir was sagen. Es wäre mir egal gewesen, wenn mich meine Kollegen, Freunde und Bekannten so gesehen hätten. Ich, der unerschütterbare Fels und immer klardenkende Realist habe geheult aus purer Rührung und Seligkeit. Vielleicht hätte ich die alle noch umarmt und geküsst und ich hätte gelacht, wenn sie mich fragend und rätselnd angeschaut hätten. Ich muss Dir das jetzt einfach schreiben, denn Du bist für mich doch so eine Art Steigbügel geworden hin zu einem Platz, wo ich vieles und vor allem mich neu und tiefer betrachten und erleben kann.

Ich mag von Deinen Erlebnissen lesen, auch wenn mir vieles noch so unwahrscheinlich erscheint. Doch gefallen tut es mir sehr und so manches macht mich nachdenklich auf eine sehr angenehme Weise. Ich fühle eine neue Lebendigkeit in mir strömen und ich habe keine Ahnung, wohin dieser Strom mich treiben wird. Ich lass das jetzt einfach zu und mich überraschen. Es zerfällt doch sowieso alles irgendwann wieder. Was bleibt einem schon? Ich will jetzt mein Leben riskieren. Was habe ich bisher in meinem Leben schon riskiert? Ich habe immer auf Erfolg gesetzt und dafür alle Mittel eingesetzt, die mein Verstand und die vorhandenen Bedingungen mir gaben. Ich habe es erreicht und ja, ich bin auch stolz darauf und gleichzeitig froh, dass ich jetzt gemerkt habe, dass Besitz sich zu Gift wandelt, wenn man zum Besitz und zur Geisel des Besitzes wird und in der ganzen Maschinerie selbst zu einem gut funktionierendem Maschinenteil wird. Ohne die körperlichen Signale wäre mir das alles nicht passiert.

Morgen will ich zum Grab meines Vaters fahren, einfach so. Ich habe ihn geliebt, trotz allem. Ja, er hat mich ständig verprügelt, doch hat auch nur wiederholt, was sein Vater schon mit ihm gemacht hat. Mein Vater hatte mir mal erzählt, dass er nicht der Hitlerjugend beitreten wollte, wo doch sein Vater ein ranghoher Offizier bei Hitler war. Blitzblau hätte er ihn immer verprügelt. Er musste eintreten, ob er wollte oder nicht. Dafür hatte er ihn gehasst.

Es gab da wohl ein jüdisches Mädchen, das von klein auf seine Freundin war und plötzlich wurden die abgeholt, die ganze Familie. Schon vorher hatte mein Opa meinem Vater verboten, mit ihr noch zu spielen und mit ihr zu reden. Er wusste nur, dass diejenigen, die sie abgeholt hatten und andere auch, diese Uniformen trugen mit diesem Symbol, das auch die Hitlerjugend trug.

Heute weiß ich, dass der Vater meines Vaters Angst hatte, wenn sein Sohn der Hitlermacht nicht wohlwollend gegenübersteht. Vielleicht hatte mein Vater diese Angst einfach unbewusst übernommen, dass er sich schon aufgeregt hatte, wenn ich bastele und kein Fußball spielen wollte, also nicht das, was alle anderen Jungs überlicherweise alle so machten. Ich war schon etwas Sonderling geworden.

Das war das einzige Mal, dass mein Vater überhaupt vom Krieg gesprochen hat.

Ich kann das jetzt alles so verstehen und es tut mir Leid, dass er immer diese Ausraster hatte. Jetzt kann ich ihm sagen, dass aus mir was geworden ist, seine Angst unbegründet war und jetzt schau ich, was aus mir noch werden kann, wenn ich selbst niemanden mehr was beweisen und zeigen muss. Ich möchte das Gebilde, zu dem ich mich gemacht habe und als das ich gesehen werde über all die Jahre nicht mehr aufrecht erhalten müssen. Ich bin nicht mehr jung, doch auch nicht so alt, um nicht noch mal alles riskieren zu können. Trotz, dass ich soviel habe und auch erreicht habe, habe ich weniger denn je das Gefühl, etwas Wertvolles verlieren zu können, sondern nur zu gewinnen.

Ich will wissen, was möglich ist, wenn ich mich z.B. mit jedem Augenblick versöhne, der kommt und geht. Ja, ich möchte mich versöhnt fühlen mit allem, was mir begegnet und mir wiederfährt.

Heute bin ich glücklich und fühle mich unendlich, weit und frei.

Ich habe vorhin sogar meine Fliegenklatsche weggeschmissen. Es sind zwar selten welche da, doch wenn, ließ ich keine überleben. Ich will keine Fliege mehr töten. Ich will das Leben mit allem Lebendigen. Ich will lernen, meine Gefühle zuzulassen und auszuhalten, wenn sie mir nicht gefallen. Dass sich das lohnt, durfte ich erfahren und im Moment bin ich einfach nur dankbar und sage auch Dir, Danke. Ach ja, einen Satz habe ich noch für Dich und der stimmt immer noch und besonders jetzt: „Ich bin ein Gewinnertyp.“ 

Ach Oskar, soll ich jetzt überhaupt noch was schreiben oder lieber nicht, um nichts zu zerstören von all der Schönheit und Liebe, die ich beim Lesen erlebt habe.

Die Stimmung, mit der Du den Brief geschrieben hast, hat hier bei mir unmittelbar den ganzen Raum gefüllt. Soviel innige Freude sprudelte aus jeder Zeile. Du scheinst wahrlich eine ganze Portion Ballast losgeworden zu sein. Gedanken lösen sich auf, wenn wir nicht mehr mit ihnen identifiziert sind.

Ja, das ist oft so, wenn man im äußeren loslassen kann, ist das ein Zeichen, dass sich im Inneren bereits etwas gelöst hat und dabei ist, sich aufzulösen. Ich weiß, dass Du verwirrt warst. Doch jetzt weißt Du, dass was Tolles dabei heraus gekommen ist und das nächste Mal wirst Du so einen Zustand, der Dich verunsichert, auf neue Art begegnen und zulassen können. Das Schöne an Dir, an unserem Briefwechsel ist für mich, dass Du mich gleichzeitig in meinem Tun, in meinem Fühlen und Wahrnehmen nährst und das einfach dadurch, dass Du mir so offen und herzlich von Deinem Erleben schreibst. Das ist ein Geschenk für mich. Offenheit füreinander macht achtsam und auch staunend.

Es ist eben ein Unterschied, ob wir vor einer weit geöffneten Blume stehen, die ihren Duft versprüht, einfach, weil sie gar nicht anders kann, weil es ihre Natur, ihr Wesen ist oder wir stehen vor dem Samen, der auf der Erde liegt und noch nichts von sich, aus seinem Innersten preisgegeben hat und nicht klar ist, ob aus ihm jemals eine duftende Blume wird.

Doch diese Blume, die in sich blicken lässt, die ihre zarten Blütenblätter weit geöffnet hat, kann man nur mit Behutsamkeit, Dankbarkeit und Staunen begegnen. Ansonsten muss man schon ein sehr abgestumpfter Trottel sein.

Dieser Duft, der nur einem geöffneten Herzen entströmen kann, ist doch das Schönste, was es geben und was man aufnehmen kann.

Offenheit ist immer mit Bedingungslosigkeit verbunden, weil Offenheit gleichzeitig Erfülltheit bedeutet. Du fühlst Dich gerade erfüllt, so erfüllt, dass Scham, Stolz, Angst und sogar, das Gefühl verletzt werden zu können, von Dir gewichen sind. Es sind diese Momente, wo sich alles so vollendet anfühlt. Danke!

Herzlichst

Malina

 

 

 

 

 

 

Die schönste Malerei

 

 

Die schönste Malerei

Du mir gebracht,

Was in meinem Herzen

Einen Gesang entfacht.

 

Schnell nahm ich

Farben und Papier,

Tauchte den Pinsel tief 

Und lustvoll in den Farbentopf.

 

Keine Angst,

Zu zerstören das weiße Blatt.

Jeder Fleck

Soll werden satt.

  

Keine Angst,

Etwas zu beginnen,

Von dem ich nicht weiß,

Was wird es bringen.

  

So lass fließen ich mich

Ins Unbekannte hinein,

Denn nur dort

Finde ich mein Sein.

 

Das Bild ist nur für Dich gemalt,

Möchte, dass ein Stück Gefühl,

Das du mir gabst,

Dir daraus entgegenstrahlt.

 

 

 

 

 

 

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  Hier geht es zum 8. Brief an Oskar: "Tief- und Höhenflüge"